Es ist eine ganze Menge, die sich Yang Liusong (Hantang Zhao) da vorgenommen hat. Die Qiangtang-Wüste in Tibet zu durchqueren, das erfordert schließlich jede Menge Mut, Kraft und Ausdauer. Das Wetter ist extrem, kein Mensch lebt dort, bei dem er Schutz und Hilfe suchen könnte. Dafür gibt es wilde Tiere, die eine Reise zu einem echten Abenteuer machen. Doch das nimmt er in Kauf, macht sich mit seinem Fahrrad und Proviant auf den Weg, das Wagnis in Angriff zu nehmen. Unterstützung erhält er dabei durch die querschnittsgelähmte Lan Tian (Yiyan Jiang), der er zu Beginn seiner Reise begegnet und die ihm auch dann noch Kraft gibt, als er längst alleine unterwegs ist und gegen Natur, Durst und Erschöpfung ankämpft.
Wenn wir an China denken, kommen uns Bilder der dicht gedrängten Megametropolen in den Sinn, alte Tempel, die Chinesische Mauer und natürlich Reisfelder. Doch das ist ein sehr verkürzter Blick. Wer die Zeit mitbringt, der kann dort Landschaften und Klimazonen entdecken, die ihresgleichen suchen. Ausgedehnte Wüsten, üppige Wälder, Gebirge voller Schnee und Eis sowie die riesigen Schwemmlandebenen, die sich um die Flüsse herum ausdehnen – kaum ein Land bietet eine vergleichbar vielfältige Geographie wie China.
Eine Reise in ein unbekanntes Land
Wenn wir in Seventy-Seven Days die tibetische Hochlandschaft erkunden, dann erhalten wir zumindest einen kleinen Einblick, wie spannend das Reich der Mitte sein kann. Die Bilder sind dann auch der große Grund, weshalb sich die filmische Reise lohnt. Der vielfach ausgezeichnete, taiwanesische Kameramann Ping Bin Lee, dem wir unter anderem die betörenden Aufnahmen in The Assassin und Love Education verdanken, zeigt hier, dass er auch jenseits der 60 nicht seinen Blick für die Schätze dieser Welt verloren hat. Gerade auch der Kontrast zwischen der kargen Wüste, der Berglandschaft und dem geradezu unwirklich blauen Himmel sorgt dafür, dass wir uns hier wie in einer anderen Welt fühlen.
Nun will der Beitrag vom Chinesischen Filmfest München 2018 aber mehr sein als nur ein schön anzusehender Urlaubsfilm. Tausendsassa Hantang Zhao, der hier Regie führt, am Drehbuch mitschrieb und dann auch noch die Hauptrolle übernahm, möchte mit seinem Debüt ein bisschen existenzieller werden. Dafür helfen ihm zwei Elemente, sollen es zumindest: die Begegnung mit Lan Tian, von der unser Protagonist noch lange zehrt, sowie die Begegnung mit der Natur. Genauer sind es ein paar Wölfe, die Yang einmal quer durch die Wildnis jagen.
Gefangen im Rückblick
Ganz geglückt ist dieser Versuch jedoch nicht. Die ständigen Flashbacks, die Zhao in seinen Film einbaut, verwirren eher, als dass sie erhellen würden. Zudem führt es dazu, dass Seventy-Seven Days nie einen roten Faden hat. Das ist zugegeben etwas schwierig bei einer solchen Reise, die von Natur aus keine wirkliche Entwicklung aufweist. Man schleppt sich von Tag zu Tag, in der Hoffnung irgendwann wider aller Wahrscheinlichkeit irgendwo anzukommen. Dennoch sollte man bei dem auf einer wahren Begebenheit beruhenden Abenteuer erwarten dürfen, dass mehr gezeigt wird als nur eine eingeblendete Zahl, welche den aktuellen Tag angibt – bis zum finalen 77., der dem Film den Titel gegeben hat.
Außerdem führen diese Unterbrechungen wie auch einige dicker aufgetragene Szenen dazu, dass man hier nur hin und wieder das Gefühl hat, tatsächlich alleine in der Wildnis unterwegs zu sein. Wie es besser geht, das zeigte kürzlich Nanouk, das von einem Ehepaar in der sibirischen Eiswüste erzählt und stärker dokumentarisch arbeitete. Aber auch wenn Zhao nicht die Wirkung des Kollegen erzielt, das wohl auch gar nicht vorhat, das Abenteuer hat seinen Reiz und wurde nicht grundlos zu einem Überraschungshit an den chinesischen Kinokassen, der sich mehrere Wochen in den Top 10 hielt.
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