Ein Außenseiter? Nein, das wollte Chilly Gonzales nicht sein. Zum einen, weil er nichts von dem Konzept hält, sich selbst zu einem stilisieren zu wollen. Und Außenseiter ist man nur, weil man es will, lässt er einen zu Beginn von Shut Up and Play the Piano wissen. Außerdem genießt er zu sehr die Aufmerksamkeit anderer, das selbsternannte Genie sucht die Nähe der Menschen, die Bewunderung. So zumindest erscheint es hier. Ganz genau kann das aber wohl niemand sagen. Denn auch wenn der Dokumentarfilm sich dem Künstler annähert, so bleibt er doch immer außer Reichweite, ein Phantom.
Irdisch und überaus real war seine Kindheit in Kanada, während derer er schon früh mit Musik in Berührung kam. Auch weil er nicht wusste, was er sonst sein sollte. Wobei die Suche nach einer Identität, gerade auch einer künstlerischen, den Werdegang des inzwischen 46-jährigen Wahlkölners beeinflusst hat. Ein wirklicher roter Faden ist in seinem Schaffen nicht zu finden, von Elektro über Pop bis zu Jazz und Klassik ist irgendwie alles dabei. Für eine große Karriere ist das eher weniger förderlich, weshalb sein Major Plattenlabel recht früh getrennte Wege ging. Aber es reichte, um sich einen Namen zu machen, gerade auch in der Szene.
Heldenverehrung aus Überzeugung
Ein paar davon kommen hier dann auch zu Wort, zum Beispiel die kanadische Sängerin Leslie Feist, an deren Hitalben er mitwirkte, oder auch Jarvis Cocker, der frühere Frontman von Pulp, mit dem er 2017 Room 29 veröffentlichte. Sie und auch andere Interviewpartner betonen dabei stets, wie inspirierend diese Zusammenarbeit immer gewesen ist. Das ist nicht überraschend, böse Worte fallen in Künstlerdokus nur selten, Heldenverehrung gehört da zum guten Ton. Und doch nimmt man es ihnen in diesem Fall ohne Vorbehalte ab, zu faszinierend, zu schillernd ist der Mann, der im Privaten Jason Charles Beck heißt.
Über Letzteren erfährt man in Shut Up and Play the Piano jedoch nur wenig. Ein paar kleine Anekdoten aus seinem Leben teilt er zwar, aber gerade genug, dass er als Mensch aus Fleisch und Blut durchgeht. Wo genau die Grenze liegt zwischen dem tatsächlichen Individuum und seiner Bühnenpersönlichkeit, das ist nahezu unmöglich zu sagen. Was er auch weiß: In einer der unterhaltsamsten Szenen des Films veranstaltet er ein Casting, wer ihn als Chilly Gonzales beerben könnte. Große Fähigkeiten brauche es nicht, um den Namen zu tragen – so kokettiert er. Hauptsache, derjenige oder diejenige sieht gut in einem Morgenmantel aus, einem seiner optischen Erkennungsmerkmale.
Unterhaltsame Einstiegsdroge
Das ist natürlich lustig anzusehen. Und auch die Interviews mit ihm haben immer einen gewissen Unterhaltungsfaktor. Zum Glück gibt es aber auch jede Menge in den anderthalb Stunden zu hören. Shut Up and Play the Piano, das auf der Berlinale 2018 Premiere feierte, gibt dem Publikum viele Gelegenheit, die Bandbreite des Kanadiers kennenzulernen. Konventionellere Stücke treffen auf elektronische Experimente, Rapeinlagen und sinfonische Momente müssen kein Widerspruch sein. Am Ende dieser künstlerischen Achterbahnfahrt ist man zwar vielleicht nicht unbedingt schlauer, wer oder was Chilly Gonzales ist und tut. Die Doku macht aber doch neugierig, mehr zu erfahren, eine weitere Runde einzusteigen und vielleicht auch über die Credits hinaus in das Werk des Mannes hineinzuhören.
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