Sierra (Shannon Purser) ist nicht unbedingt das, was man ein It Girl nennen würde. Keiner nimmt von der Schülerin Notiz. Und wenn doch, dann nur um sie zu demütigen. Siehe Veronica (Kristine Forseth). Die ist schön, beliebt, Cheerleaderin – und richtig fies. Für sie ist es dann auch nur ein Spaß, wenn sie Sierras Nummer an Jamey (Noah Centineo) weitergibt, um sich vor dessen Annäherungsversuchen zu drücken. Wider Erwarten verstehen sich Sierra und Jamey aber gut, zumindest am Telefon. Kompliziert wird es, als Jamey jedoch das Mädchen an der anderen Leitung sehen will – schließlich denkt der ja die ganze Zeit, dass er mit Veronica spricht. Und so greift Sierra zu einer List, um ihn noch länger in diesem Glauben zu lassen.
Manche Sachen kommen wohl nie aus der Mode. Zumindest ist es auffällig, dass diese Woche gleich zwei Filme auf den Markt kommen, die den Klassiker Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand in eine Teenieromanze verwandeln. Während der deutsche Beitrag Das schönste Mädchen der Welt dafür den Rahmen einer Klassenfahrt nutzt und die Geschichte mit unerwarteten Rap Battles aufpeppt, wählt der Netflix-Titel Sierra Burgess Is a Loser einen anderen Weg, um sich von der Konkurrenz abzuheben: Er tauschte einfach die Geschlechter aus.
Auch Frauen dürfen für die Liebe lügen!
Etwas ungewohnt ist es schon, wenn hier mal die Mädels das Heft in die Hand nehmen und sich um ihre Traummänner bemühen, anstatt zum bloßen Objekt der Begierde reduziert zu werden. Aber das muss ja nichts Schlechtes sein. In Zeiten, in denen Gleichberechtigung auch in Folge der diversen unschönen Enthüllungen aus Hollywood weiter oben auf der Agenda steht, tut es sogar irgendwie gut, wenn auch in Filmen die Rollen getauscht werden. Dass es jetzt mal das schwache Geschlecht, das seinen Mann steht und dabei auch nicht vor Lügen zurückschreckt, um an das Ziel zu kommen.
Dass das moralisch mindestens fragwürdig ist, scheint hier niemanden zu stören. Die konstanten Schummeleien von Sierra werden hinter der Nachricht versteckt, dass es ja ohnehin auf die inneren Werte ankommt und sie ja ohnehin dazu bestimmt sind, ein Paar zu werden. Der Zweck heiligt die Mittel. Für Sierra sowieso. Aber auch für Drehbuchautorin Lindsey Beer, die auf etwas zynische Weise den Kampf gegen Oberflächlichkeit und Unterdrückung missbraucht, um das Verhalten zu rechtfertigen. Hauptsache es geht am Ende gut aus.
Konflikt gebannt, Konflikt erschaffen
Damit dies auch für alle Beteiligten gilt, wandelte sie das Prinzip der Vorlage etwas ab. Wo beim alten Gedichteflüsterer noch beide Herren von derselben Frau träumten, sind Veronica und Sierra auf unterschiedliche Kerle aus. Und auch der finstere dritte Verehrer wurde gestrichen. Da der eigentliche Konflikt nun fehlt in Sierra Burgess Is a Loser, müssen andere her. Während der erste – die schöne Cheerleaderin mobbt den moppeligen Außenseiter – zwar voller Klischees, aber noch irgendwie glaubwürdig ist, wird zum Ende hin jeglicher Versuch über Bord geworfen, eine nachvollziehbare Geschichte zu erzählen. Wenn sich hier alles zuspitzt, dann nicht, weil es sich aus den Ereignissen so ergeben würde, sondern weil der Film eben den üblichen dramaturgischen Vorlagen folgen soll. Und die besagen, dass vor dem Happy End der böse Krach kommt.
Insgesamt krankt Sierra Burgess Is a Loser daran, dass hier so gar keine eigene Identität aufgebaut wird. Für einen Film, der sich nach außen hin so sehr für Außenseiter einsetzt, ist das Ergebnis befremdlich regelkonform und glattgebügelt. Sieht man einmal davon ab, dass Sierra nicht ganz dem üblichen Hungerhakenideal entspricht, wurde peinlich darauf geachtet, ja keine Erwartung unerfüllt zu lassen. Anfangs ist das noch ganz sympathisch, wenn sich die Geschichte nur um die ersten Gefühle von Sierra drehen. Mit der Zeit wird die Teenieromanze jedoch immer langweiliger, was nicht zuletzt an den Figuren liegt. Beer war zwar bemüht, ein paar Ecken und Kanten einzubauen, tut dies jedoch ohne jegliche Finesse. Vor allem die Männer sind eine Zumutung: Sierras obligatorischer bester Freund Dan (RJ Cyler) ist schwarz und schwul, um gleich zwei Minderheiten abdecken zu können, Jamey ist ein so grundguter Mensch, dass er lediglich als Posterboy funktioniert, nicht aber als Charakter. Der Zielgruppe wird es egal sein und das Anliegen des Films selbst ist durchaus sympathisch. Da waren andere Netflix-Teenieromanzen wie To All the Boys I’ve Loved Before oder Alex Strangelove aber charmanter.
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