Ein bisschen Spaß mit den anderen haben, mehr wollte die 18-jährige Kaja (Andrea Berntzen) ja gar nicht, als sie zum Sommercamp auf der norwegischen Insel Utøya fährt. Doch der Spaß ist bald vorbei. Immer wieder gerät sie mit ihrer Schwester aneinander, die ebenfalls dort ein paar Tage verbringen will und ständig nur Chaos verursacht. Im Streit stapft Kaja deshalb davon, um allein zu dem Barbecue zu gehen. Gesprächsthema Nummer eins ist das Bombenattentat, das zuvor Oslo erschüttert hat. Bis die Jugendlichen Schüsse hören …
Ein kleiner Film sorgt für große Empörung
Auch wenn 2018 noch ein paar Wochen vor sich hat, eines steht schon fest: Auf der Liste der kontroversesten Filme des Jahres wird Utøya 22. Juli ganz weit oben stehen – und das muss man erst einmal schaffen in einem Filmjahr, das neue Werke der notorischen Enfants terribles Lars von Trier (The House That Jack Built) und Gaspar Noé (Climax) sah. Während die einen Kritiker die Höchstnote zücken, nehmen andere die schlechteste, die sie finden konnten. Und sie hätten gern noch schlechtere genommen, aus Prinzip.
Denn Utøya 22. Juli ist ein Film, an dessen Prinzip sich die Geister scheiden. An der Frage: Darf man so etwas? Ob der Film selbst etwas taugt oder nicht, das steht meistens gar nicht zur Debatte, angeprangert wird stattdessen die Pietätlosigkeit des Projektes, verbunden mit sehr persönlichen Angriffen gegenüber dem Regisseur. Eines muss man dem norwegischen Filmemacher Erik Poppe, der bislang eher weniger mediale Aufmerksamkeit genoss, daher lassen: Sein Film polarisiert, trifft offensichtlich einen Nerv, selbst bei gestandenen Kritikern, die genügend Erfahrung und Distanz mitbringen sollten.
Einem Verbrechen auf der Spur
Utøya 22. Juli behandelt dabei, der Titel verrät es bereits, eines der rätselhaftesten und grausamsten Massaker der jüngeren Geschichte. Ausgerechnet Norwegen, zuvor nicht unbedingt als Ort der Gewalt bekannt, wurde Opfer eines perfiden Anschlags. Erst sorgte der rechtsextreme Anders Behring Breivik in Oslo mittels einer Bombe für Chaos und Blutvergießen, bevor er sich seinen Hauptopfern zuwandte. Verkleidet als Polizist setzte er auf die Insel Utøya über, behauptete dort, sich wegen des Anschlags umsehen zu wollen. Doch stattdessen zog er eine Waffe und begann wahllos auf die Jugendlichen zu schießen. 69 Menschen starben infolge seines Amoklaufs, zwischen 14 und 51 Jahren.
Von den Hintergründen erfährt man hier jedoch erst einmal nichts, erst zum Schluss klären Texttafeln auf, was genau geschehen ist. Der Name Breivik fällt dabei kein einziges Mal, wir bekommen ihn auch nicht zu sehen. Poppe will allein über die Opfer sprechen, nur sie zeigen. Genauer schnappte er sich stellvertretend für die Hunderten Jugendlichen besagte Kaja und folgt ihr in einer 72-minütigen Plansequenz über die ganze Insel. 72 Minuten deshalb, weil auch der Amoklauf damals so lange dauerte. Utøya 22. Juli versucht nachzustellen, basierend auf Gesprächen mit Überlebenden, wie es sich angefühlt hat, so lange Zeit mit einem Killer eingesperrt zu sein, ohne zu wissen, wer da eigentlich schießt. Und warum. Nicht einmal die Zahl der Angreifer ist offensichtlich. Während das Publikum natürlich weiß, dass es letztendlich nur ein Mann war, der das Blutvergießen anrichtete, so sitzen Kaja und die anderen im Dunkeln. Sie hören nur die Schüsse, mal weiter weg, dann wieder ganz nah, aus allen Richtungen kommend.
Darf Grauen unterhalten?
Eine Rekonstruktion des Grauens also. Das haben andere natürlich auch getan und dafür jede Menge Lob eingefahren. Detroit bringt uns ein beklemmendes Beispiel für Polizeigewalt aus dem Jahr 1967 näher, Son of Saul führt uns auf eine technisch ähnliche Weise wie hier den Schrecken eines Konzentrationslagers während des Zweiten Weltkriegs vor Augen. Wo diese beiden Filme aber so weit in der Vergangenheit spielen, dass sie als Erinnerung an Verbrechen durchgehen, da ist das norwegische Massaker natürlich sehr viel präsenter. Eine Erinnerung braucht es da nicht.
Für Empörung sorgte zudem, dass sich Poppe der Mittel eines Horrorfilms bedient, was naheliegend ist, aber doch auch nach Exploitation riecht. Horror soll uns natürlich vorspielen, dass da eine reale Gefahr existiert. Sie soll sich aber nicht an einer realen Gefahr orientieren, so der Schluss. Diese Einstellung kann man teilen oder sie als heuchlerisch ablehnen, unstrittig ist, dass Utøya 22. Juli äußerst effektiv darin ist, diesen Schrecken auf die Leinwand zu holen, gerade auch durch die dokumentarische Anmutung und die ständige Orientierungslosigkeit. Bedauerlich dabei ist, dass der Thriller, der auf der Berlinale 2018 Premiere feierte, diesen Ansatz nicht ganz konsequent durchführt. Eine kleine Metaeinlage zu Beginn, holprige Versuche der Charakterisierung, dazu die konstruierte Situation um die Schwester, die zu jeder Menge zufälliger Begegnungen führt – Utøya 22. Juli ist am Ende dann doch ein Film, der Mechanismen folgt. Ein guter Film jedoch. Und eben ein harter Film, der aus bloßen Texttafeln und Newsschnipseln etwas Erfahrbares macht, von dem die wenigsten wollten, dass es erfahrbar wird.
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