Es ist ein grausiger Fund, der sich Aslak (Adam Ekeli) und seinem besten Freund Lasse (Lennard Salamon) da bietet: Schafe, die zerfetzt auf dem Boden liegen, in ihrer eigenen Blutlache. Aber wer könnte das verursacht haben? Oder was? Für Lasse ist klar: Das muss ein Werwolf gewesen sein. Aslak lässt sich von den Bildern und den Geschichten durchaus beeindrucken. Und doch entschließt er sich, allein in die unheimlichen Wälder zu gehen, als sein geliebter Hund verschwindet. Während der Junge nun durch die Gegend wandert und dabei eigenartige Erfahrungen macht, suchen seine verzweifelte Mutter Astrid (Katherine Fagerland) und die Polizei fieberhaft nach ihm.
Auch wenn der Mensch sich schon seit Längerem nichts mehr von der Natur vorschreiben lassen mag, sich zum Herrscher über Flora und Fauna erhoben hat, die Angst vor dunklen Wäldern, die ist einfach nicht aus ihm herauszubekommen. Das zeigte sich dieses Jahr mal wieder besonders eindrucksvoll beim Fantasy Filmfest, wo gleich eine ganze Reihe von Werken sich auf die Wirkung verließen, die solche Orte auf uns ausüben. Eine archaische Angst vor dem Unbekannten und Undurchsichtigen.
Nichts zu sehen in den Schatten
Valley of Shadows ist der Titel, der am stärksten mit eben dieser Angst spielt. Wo es bei den Kollegen What Keeps You Alive oder The Dark zum Teil sehr blutig zugeht, man dort konkret vor Augen geführt bekommt, warum man nicht in den Wald gehen sollte, da bleibt das hier sehr viel nebulöser. Der Film ist auch nicht direkt Horror, es mangelt an Jump Scares, es mangelt an Schockmomenten. Es mangelt auch an einer Handlung. Tatsächlich besteht das Mystery-Drama zu einem Großteil wirklich nur daraus, dass Aslak durch den Wald läuft.
Dass die sehr ruhige Arthouse-Variante des Waldschauers bei dem eher auf deftige Momente schielenden Publikum des Festivals nicht unbedingt euphorisch aufgenommen werden würde, das verwundert nicht weiter. Bei dem Kampf um den Fresh Blood Award war Valley of Shadows chancenlos. Dabei hat das Spielfilmdebüt des norwegischen Regisseurs und Co-Autors Jonas Matzow Gulbrandsen durchaus einiges zu bieten. Auf traumwandlerische Weise verbindet er hier kindliche Wahrnehmung mit harscher Realität, lässt einen Wald zu einem Ort des Wunders und des Grauens werden, aber auch der Zuflucht. Wenn Aslak durch das verwunschene Niemandsland stolpert, das einem Märchen entnommen sein könnte, dann bedeutet das für ihn auch, der traurigen Situation zu Hause zu entkommen.
Betörende Bilder, störende Musik
Zumindest phasenweise geht dieser Plan auf, für den Jungen wie auch das Publikum. Kameramann Marius Matzow Gulbrandsen zeigt uns das norwegische Hinterland von einer gleichermaßen betörenden wie unheimlichen Seite, in der man sich ganz gerne für eine Weile verliert. Allerdings ist Valley of Shadows auch ein echtes Geduldsspiel. Dass in dem Drama keine axtschwingenden Rednecks auf Beutejagd sind, das ist durchaus angenehm. Dennoch wäre es schön gewesen, zumindest etwas mehr in die sehr minimalistische Geschichte einzubauen, und seien es nur Spiele mit der Wahrnehmung. Da gelang dem Vorjahreskollegen Sicilian Ghost Story die Kombination aus kindlicher Träumerei, Poesie und Düsterem doch wesentlich besser.
Zudem hat Valley of Shadows ein kaum zu übersehendes Manko. Genauer ein kaum zu überhörendes: der Score. Anstatt der natürlichen Wirkung eines Waldes zu vertrauen, der durch das Rascheln der Blätter, ein Knacken im Unterholz und die vielen nicht zuzuordnenden Geräusche die Fantasie automatisch anregt, gibt es hier fast unentwegt fette Soundteppiche, die alles unter sich ersticken. Mehr noch, Komponist Zbigniew Preisner baute Chorgesänge ein. Die sind zwar dezenter gehalten, reißen einen aber so kontinuierlich aus der Illusion, in einem Wald unterwegs zu sein, dass selbst die großartigen Bilder nichts mehr bringen. So interessant das Debüt des Norwegers auch ist, so vielversprechend einzelne Elemente, so frustrierend ist es auch, was daraus gemacht wurde.
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