Genug ist genug. Nachdem er Jahre an der Flasche hing, will Joseph nun endlich davon wegkommen, sein Leben in den Griff bekommen. Ein Freund unterstützt ihn dabei, indem er ihm sein altes Haus in einer abgelegenen Gegend von Quebec zur Verfügung stellt. Dort will der alte Mann Ruhe finden, alles überdenken, noch einmal von vorne anfangen. Auch seine Ex-Frau Emma ist mit dabei, was für die beiden ein Anlass ist, sich mit der gemeinsamen, nicht immer einfachen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Gleichzeitig geht es im Land hoch her, denn eine Abstimmung über die Abspaltung Quebecs von Kanada teilt die Menschen.
Dass ein Animationsfilm erst einmal nur etwas für Kinder ist, das ist ein ebenso hartnäckiges Vorurteil wie jenes, dass Animationsfilme für Erwachsene sich in erster Linie durch Sex und Gewalt abheben müssen. Während solche üblicherweise diejenigen sind, die am meisten Aufmerksamkeit bekommen, gibt es aber doch immer wieder welche, die zeigen, dass es auch anders geht. Leise Filme, die sich mit ernsten Themen auseinandersetzen, sei es im dokumentarischen Bereich oder in Form eines Spielfilms.
Die Ruhe während des Sturms
Ein solches Beispiel ist Ville Neuve, das auf den Filmfestspielen von Venedig 2018 Premiere feierte und im Rahmen des Filmfests Hamburg 2018 auch nach Deutschland kommt. Acion gibt es hierin praktisch keine, sieht man einmal von dem fernen Donnergrollen der mit der Abstimmung erhitzten Gemütslage ab. Regisseur und Drehbuchautor Félix Dufour-Laperrière, der hier seinen ersten fiktiven Langfilm abliefert, nutzt diese zwei Bestandteile auch zum Kontrast. Die ruhigen, kontemplativen Momente auf der einen Seite, die angespannten auf der anderen.
Auch inhaltlich sind sie entgegengesetzt: Eine sehr persönliche Geschichte, die ohne Belang ist für das weitere Schicksal des Landes, wird mit einer gesellschaftlichen Situation verknüpft. Die Beschäftigung mit einer Vergangenheit geht einher mit der Frage, wie es in Zukunft weitergehen soll. Eine wirkliche Verbindung der beiden Ebenen findet nicht statt, der politische Moment dient eher als Hintergrund und trägt allenfalls zu der Stimmung bei, nicht aber zu dem Inhalt.
Einfach und düster
Düster ist diese Stimmung, zum einen der ernsten Inhalte wegen. Aber auch wegen der Präsentation: Der kanadische Filmemacher hat sein Drama komplett in schwarzweißen Tuschezeichnungen umgesetzt. Die sind recht simpel gehalten, verzichten auf große Details. Dufour-Laperrière setzt mehr auf Atmosphäre denn visuelle Wunderwerke. Das passt zu dem Inhalt, der ebenfalls eher intuitiv als explizit ist. Denn viel erfahren wir in Ville Neuve nicht über die Menschen, weder die im Haus, noch die da draußen.
Das mag für die Zuschauer ein Manko sein, die sich mehr Handlung wünschen, eine klare Geschichte. Ville Neuve erinnert hier an den französischen Animationskollegen Louise en Hiver, der ebenfalls impressionistisch in die Vorgeschichte seiner Protagonistin eintauchte, die Einsamkeit einer menschenleeren Gegend für eine mitunter traumartige Nachdenklichkeit nutzte. Nur dass es hier keine humorvollen Auflockerungen gibt, der Film sich völlig seiner Melancholie hingibt. Das ist teilweise kaum fassbar, eine inhaltliche wie optische Skizze, die gleichzeitig aber viel zu zeigen, viel zu erzählen hat, sofern man sich darauf einlassen kann.
(Anzeige)