Das Leben in dem kleinen abgelegenen Dorf von Alaska ist schon unter normalen Umständen hart. Und es ist jetzt noch etwas härter geworden: Mehrfach haben Wölfe die Menschen überfallen und kleine Kinder verschleppt. Als auch der sechsjährige Bailey verschwindet, wendet sich dessen Mutter Medora Sloane (Riley Keough) hilfesuchend an den Experten Russell Core (Jeffrey Wright). Der verspricht, alles in seiner Macht zu tun, muss aber bald feststellen, dass die Geschichte sehr viel verworrener ist. Denn plötzlich ist auch Medora spurlos verschwunden. Dafür taucht aber ihr Mann Vernon (Alexander Skarsgård) auf, der gerade von einem Irakeinsatz zurückkommt und ganz eigene Pläne verfolgt.
Dass Netflix derzeit auf großem Expansionskurs ist, das wird jeder bestätigen können, der Mitglied beim Streamingdienst ist: Jede Woche wird man mit einem halben Dutzend neuer Eigenentwicklungen überschüttet, hinzu kommen die Lizenztitel. Die US-Amerikaner wollen aber nicht nur die Quantität erhöhen, sondern haben – vielleicht motiviert durch die viele Häme von Kritikern und Zuschauern – sich vorgenommen, auch bei der Qualität ein bisschen was draufzulegen. Bedeutende Regisseure anzuheuern, die neben Kunden ein wenig Prestige bringen sollen.
Ein Mann für alle blutigen Fälle
Die Ergebnisse waren zuletzt auf mehreren Filmfestivals zu sehen, beispielsweise dem Toronto International Film Festival 2018. Dort nämlich feierte Wolfsnächte seine Premiere, einer der großen Hoffnungsträger des Anbieters wie auch des Publikums. Der Grund: Es handelt sich hierbei um das neue Werk von Jeremy Saulnier. Der hat zwar bis heute keinen kommerziellen Hit gedreht, mit seinen blutigen Thrillern Blue Ruin und Green Room aber die Kritiker im Sturm erobert. Kaum einer zeigt derart kompromisslos die Gewalt des kleinen Mannes, wenn ein Obdachloser einen Rachefeldzug startet bzw. eine Punkgruppe gegen Neonazis antreten muss.
Wolfsnächte ist den beiden Vorgängern teils recht ähnlich, geht aber auch betont andere Wege. Erneut sind wir hier im Thrillergenre unterwegs, erneut wird Saulnier nicht mit Mord und Totschlag sparen. So wird Vernon gleich zu Beginn im irakischen Kriegsumfeld als eiskalte Killermaschine gezeigt. Auch in der frostigen Einöde von Alaska wird es zu Gewaltausbrüchen kommen, von den verschiedensten Leuten. Denn dort geht das Böse um, geht der Wahnsinn um. Manchmal hat man den Eindruck, dass dort überhaupt keine normalen Menschen mehr leben, sondern Leute, die irgendwie einfach zu lange allein waren und in der ständigen Dunkelheit und Einsamkeit verrückt geworden sind.
Die Suche nach den Antworten
Oder steckt doch mehr dahinter? Ähnlich zu Birds of Passage, das folkloristische Elemente mit klassischem Thriller verbindet, so nährt auch Wolfsnächte Zweifel, spielt mit abergläubischen Elementen. Antworten liefert die Adaption von William Giraldis gleichnamigen Roman jedoch nicht. Das Böse, das hier umgeht, es wird nie wirklich fassbar. Archaische Kräfte, die sich unseres Zugriffs oder einer klaren Definition entziehen und damit umso wirksamer sind. Denn hier wissen wir nie so recht, wovor wir eigentlich Angst haben müssen. Dämonen? Wölfen? Uns selbst?
Atmosphärisch ist das, wie bei Saulnier nicht anders zu erwarten, erstklassig. Der Filmemacher zeigt uns eine Vision der nordamerikanischen Eiswildnis, die noch düsterer ist als die in Wind River, surrealer ist. Er lässt das Publikum hiermit jedoch allein, verweigert klare Antworten. Vieles von dem, was hier geschieht, wird nie erklärt, auch schon deshalb nicht, weil Wolfsnächte über weite Strecken auf Dialoge verzichtet. Es liegt am Publikum, ob es in dem Bösen und in den Abgründen etwas findet, an das es sich halten kann. Wem das zu wenig ist, der darf zwar die dunkel funkelnden Naturaufnahmen bewundern, die intensiven Auftritte, gerade von Skarsgård, wird an den unzusammenhängenden Szenen, die mehr Fragen aufwerfen, als sie zu beantworten, jedoch nur wenig Freude haben.
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