Zuletzt wurden politische und gesellschaftliche Debatten oft von Menschen geprägt, die ihre Heimat verlassen, um woanders neu anzufangen. Menschen, die nach Europa kommen, nach Europa, in die USA. Menschen, die daheim keine Zukunft mehr haben. Es gibt aber auch Menschen, die gehen und nirgends ankommen. Die einfach verschwinden, weil es auf dieser Welt keinen Platz mehr für sie gibt. Weil andere Menschen ihnen keinen Platz mehr gelassen haben, sie bis an die Ränder dieser Welt gedrängt haben.
Eben dorthin ist der erfahrene Naturfotograf Markus Mauthe gereist. Im Schlepptau: Regisseur Thomas Tielsch und ein ganzes Filmteam. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach sogenannten indigenen Völkern. Also solche, die zuerst an einem Ort lebten, bis später Kolonialisten kamen und ihnen das Land streitig machten – mit teils verheerenden Auswirkungen auf die Alteingesessenen. Die bekanntesten Beispiele sind natürlich die unter dem heute nicht mehr gern gesehenen Begriff Indianer zusammengefassten Völker Nord- und Südamerikas, die dem weißen Mann zum Opfer fielen. Aber auch in anderen Teilen dieser Welt gibt es Überbleibsel vergangener Kulturen, die sich mehr schlecht als recht ins 21. Jahrhundert gerettet haben.
Der Zauber der Natur
Mehrere Jahre waren Mauthe und Tielsch auf diese Weise unterwegs, reisten an die entlegensten Orte der Erde. Südamerika stand dabei natürlich auf dem Reiseplan, aber auch in Afrika und in Asien wurde das Team fündig. Für das Publikum bedeutet das jede Menge spannender bis idyllischer Landschaftsaufnahmen. Da sind unberührte Urwälder dabei, ein Meer, das so sehr leuchtet, dass man es leicht für nachcoloriert halten könnte, aber auch trockene Steppen. Die ganze Bandbreite dessen, was Mutter Natur so zu bieten hat, wenn man sie denn lässt.
Das Problem ist nur: Der Mensch lässt sie nicht, immer weniger. Die Geschichte der Völker, die nicht nur von, sondern auch in der Natur leben, die ist eng mit dem Verlust natürlicher Lebensräume verbunden. Ob es die Urwälder Südamerikas sind, die abgeholzt werden, um Platz für Ackerland zu schaffen, Staudämme, welche die indigenen Völker ihrer Flüsse beraubt, oder abnehmende Fischbestände, unter denen die Seenomaden zu leiden haben – es wird zunehmend schwieriger für die Menschen, nach den überlieferten Methoden zu leben.
Das Ende der Kultur
Damit einher geht auch der Verlust ihrer Kultur und alter Traditionen. Denn wer seine Heimat aufgeben und sich an die Bedingungen der heutigen Zivilisation anpassen muss, der muss sich von dem verabschieden, was er kannte, was ihn ausmachte. Überlebenschancen haben diese alten Werte und Bräuche lediglich als Touristenattraktion: Einer der erschütterndsten Abschnitte von An den Rändern der Welt zeigt ein Volk, das sich für die Kameras zurechtmacht, sich selbst zu einer reinen Dekoration erniedrigt, im Austausch für ein bisschen Geld.
Dem Beitrag der Nordischen Filmtage Lübeck 2018 gelingt es dabei sehr schön, die diffizile Balance aufzuzeigen. Denn während manche Urvölker die große, weite Welt grundsätzlich abblocken, mit dieser nichts zu tun haben wollen, sind andere durchaus empfänglich. Schuhe tragen, überhaupt eine Form von Kleidung, Nahrung und Medizin kaufen können – das hat seine Vorteile. Aber eben auch Nachteile. Welche von beiden überwiegen, das lässt An den Rändern der Welt offen. Die regelmäßigen Voiceover-Kommentare erläutern zwar die Situation, geben aber keine Lösungen vor. Der als Teil eines größeren Projekts entstandene Film begnügt sich mit der wichtigen Aufgabe, das Publikum für das Thema erst einmal zu sensibilisieren, mit einer Mischung aus Exotik und Schrecken eine fremde Welt zu zeigen, die es in der Form vielleicht schon bald nicht mehr geben wird.
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