Die vier Freundinnen Lily (Odessa Young), Sarah (Suki Waterhouse), Em (Abra) und Bex (Hari Nef) leben ein ganz normales Leben in einer ganz normalen High School in einer ganz normalen US-amerikanischen Kleinstadt. Sie hängen zusammen rum, quatschen über Jungs, sind viel in sozialen Medien unterwegs. Doch dieses normale Leben nimmt ein jähes Ende, als ein Hacker beginnt, persönliche Daten von ihrem Umfeld zu verbreiten. Beim ersten Opfer, dem heuchlerischen Bürgermeister, wird noch kräftig gelacht. Als es den Leiter der Schule trifft, wird es schon kniffliger. Und das ist nur der Anfang, denn plötzlich muss jeder befürchten, dass die persönlichsten Geheimnisse online gestellt werden.
„Witch Hunt“ war in den letzten Wochen immer mal wieder auf Twitter zu lesen. „Hexenjagd“. Dass die Hauptquelle für diesen wiederkehrenden Ausdruck ausgerechnet Donald Trump ist, der sich selbst mit Frauen vergleicht, die aufgrund bigotter Mitbürger hingerichtet wurden, entbehrt nicht einer gewissen bitteren Ironie. Da treffen die Vorkommnisse in Assassination Nation doch sehr viel besser auf den Begriff, wenn hier bloße Anschuldigungen zu Mord und Totschlag führen. Nicht umsonst spielt der Film in Salem, wo Ende des 17. Jahrhunderts die berüchtigten Hexenprozesse stattfanden, ebenso grausame wie hysterische Prozesse, in denen Menschen brutal getötet und gefoltert wurden.
Schicke neue Welt
Dass auch Assassination Nation später eine recht gewaltsame Richtung einschlägt, ist keine Überraschung. Der Titel verrät das. Der Epilog verrät das, wenn wir erfahren, dass die vier eventuell die Nacht nicht überstehen, noch bevor wir wissen, was überhaupt Sache ist. Oder um wen es geht. Zunächst beschäftigt sich Regisseur und Drehbuchautor Sam Levinson erst einmal ausführlich mit den Mädels und ihrem Alltag. Das ist stylisch, teilweise sogar wild, wie hier umhergewirbelt wird, inhaltlich wie optisch. Ein bisschen wie Spring Breakers, nur mit größerem Fokus auf die sozialen Medien und die Internetkultur.
Der spannendste Teil ist dann auch der zur Mitte hin, wenn eben diese virtuelle Nebenwelt auf einmal alles bestimmt. Privatsphäre gibt es heute nicht mehr, gibt eine Mitschülerin an einer Stelle zu denken. Die Welt teile sich auf in Menschen, die das verstehen, und Menschen, die das nicht verstehen. Das ist zynisch, ja, so wie Assassination Nation ganz offensichtlich jede Menge Frust zu verarbeiten hat. Frust über Menschen, die Werte predigen, und sie im Geheimen selbst ignorieren. Frust über Leute, die sich aus Prinzip über andere empören, unter fadenscheinigen Ausreden – wenn besagter Schulleiter schwarz ist, dann war das bestimmt kein Zufall.
Eine lange und hässliche Liste
Und das ist nur ein kleiner Teil der langen Liste, die Levinson abzuarbeiten hat. Gleich zu Beginn rattert eine Warnung nach der anderen über die Leinwand, auf welche heiklen bis hässlichen Themen sich das Publikum einzustellen hat. Subtil ist das nicht, Assassination Nation bekämpft lieber Feuer mit Feuer. Soll heißen: Der Film geht ebenso brutal auf die Leute los, wie sie es selbst tun, wenn sie andere Menschen unterdrücken. Das erinnert durchaus an The Purge – Die Säuberung, haut aber lieber noch mehr drauf, will erst gar nicht riskieren, dass irgendjemand im Publikum nicht versteht, worum es hier eigentlich geht.
Diese geradezu beleidigende Direktheit ist nicht das einzige Problem, das der Film mit sich herumschleppt. Auch die lange Wartezeit, bis das eigentliche Thema gefunden wird, ist etwas unglücklich, genauso die groteske Entgleisung, wenn Assassination Nation zum Ende hin etwas ganz anderes wird. Aber man muss den Thriller, der auf dem Sundance Film Festival 2018 debütierte, auch irgendwo dafür bewundern. Hier wird auf nichts und niemanden Rücksicht genommen. Mit einer Mischung aus ungefilterter Energie und großem Stilbewusstsein – eine späte Plansequenz ist beispielsweise großartig –, aus brennender Wut und beißendem Humor, schlägt der Film auf alles und jeden ein, auf vermeintliche Opfer wie auf Hexenjäger. Ein Film, der unverkennbar das Produkt unserer Zeit ist, gleichzeitig schmerzvoll und ein Guilty Pleasure, viel zu sagen hat und doch auch irgendwie dämlich ist.
(Anzeige)