Im Leben von Simone (Michaela Coel) gibt es eigentlich nur ihre Tochter und die Arbeit in einem Friseursalon. Für mehr fehlt ihr die Zeit. Und auch ein bisschen das Interesse. Ihre beste Freundin Yvonne (Ronke Adekoluejo) kann dem freudlosen Treiben nicht länger zusehen und überredet die alleinerziehende Mutter daher, gemeinsam um die Häuser zu ziehen und im Idealfall einen hübschen Kerl abzuschleppen. Ein williges Opfer finden sie sogar, als sie in einer Bar Raymond (Arinzé Kene) über den Weg laufen, ein frisch entlassener Sträfling mit scharfen Bewährungsauflagen. Aber auch Simone trägt eine unschöne Vergangenheit mit sich herum.
Film-Musicals sind ja immer so eine Sache. Wenn Handlungen regelmäßig unterbrochen werden, um in den unmöglichsten Momenten Gesangs- und Tanzeinlagen einzulegen, dann kann das durchaus etwas irritierend sein. Vielleicht werden deshalb so selten welche gedreht, obwohl La La Land und Greatest Showman vorgemacht haben, wie viel Geld mit gefühlvollen Musikspektakeln gemacht werden kann. Denn es braucht die richtige Kombination aus eingängigen Liedern, schicken Choreografien, einem bekannten und doch musicalaffinen Cast und im Idealfall einer Geschichte, die das Ganze zusammenhält.
Typisch britisch
Wie schwierig das am Ende ist, das zeigt Been So Long, mit dem Netflix dieses potenziell lukrative Marksegment abgreifen möchte und dafür richtig viel Kohle rausrückte: Es soll sich hier um den teuersten Einkauf eines Films aus dem Vereinigten Königreich handeln, den der Streaminggigant bislang getätigt hat. Die Besetzung dürfte es dabei weniger gewesen sein, die den Preis hochtrieb. Die englische Hauptdarstellerin Michaela Coel mag in der Heimat dank ihres preisgekrönten Auftritts in der Sitcom Chewing Gum berühmt sein, international dürften aber nur wenige etwas mit ihr anfangen können – oder mit dem Rest des größtenteils unbekannten Ensembles.
Wobei Ensemble ein irgendwie unpassender Begriff ist für das, was in Been So Long geschieht. Auch wenn natürlich die Romanze von Simone und Raymond im Mittelpunkt steht, der Film baut eine ganze Reihe von Nebengeschichten ein, ohne echten Zusammenhang. Die bizarrste betrifft einen psychisch offensichtlich mindestens angeknacksten Mann namens Gil (George MacKay), der den anderen immer wieder über den Weg läuft und immer so aussieht, als wolle er jemanden ermorden. Die Auftritte des jungen Engländers sind durchaus sehens- wie hörenswert, nach Make My Heart Fly – Verliebt in Edinburgh darf er nun schon zum zweiten Mal sein Gesangstalent in einem Arbeitermusical unter Beweis stellen. Sie passen nur weder zur Geschichte, noch zu dem, was wir allgemein von einem Musical erwarten.
Überall und nirgendwo
Das ist typisch für Been So Long, gleichermaßen eine Stärke wie eine Schwäche des Films. Die Adaption des gleichnamigen Bühnen-Musicals, das wiederum auf einem Theaterstück basierte, ist doch recht eigenwillig. Wie viele Musicals sieht man schon, in denen Ex-Knackis mit Fußfesseln und psychisch Kranke an der vordersten Front stehen? Und auch der soulgeprägte Soundtrack und das Setting des schwarzen Arbeitermilieus von London unterscheiden sich wohltuend von dem, was es sonst in Musicals zu sehen und zu hören gibt. Überraschend ist zudem, wie explizit die Sprache teilweise ist. Gerade die umtriebige Yvonne nimmt Wörter in den Mund, die in dem sonst auf Familienunterhaltung bedachten Bereich mindestens fragwürdig sind.
So sympathisch und ungewöhnlich die einzelnen Bestandteile aber auch sein mögen, Been So Long scheitert daran, aus dem Ganzen einen Film zu machen. Die Hauptgeschichte kommt oft nicht voran, weil zu viele andere Nebenstränge sich dazwischendrängeln. Und es ist noch nicht einmal so, dass die Romanze von Simone und Raymond übermäßig spannend oder bewegend wäre. Denn ausgerechnet hier hält man sich an die alten 08/15-Schemata, es gibt keinerlei erinnerungswürdige Szenen dieser verhinderten Liebe. Und auch die Mischung aus ernsten und heiteren Szenen funktioniert nicht so recht. Denn während viele Tanzeinlagen durch ihre Absurdität komisch sind, darunter ein greller Auftritt in einem Kebab-Laden, ist drumherum wenig davon zu spüren. Dadurch zerfällt Been So Long kontinuierlich in einzelne Nummern, Szenen und Themen, zwischen großartig und sterbenslangweilig, zwischen schrill und nüchtern. Da auch die Lieder sehr unterschiedlich ausfallen auf der Skala der Ohrwurmqualität, sind die Aussichten auf einen Sensationserfolg vergleichbar zu den obigen Hollywood-Kollegen eher gering.
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