Drei Jahre sind vergangen, seitdem der DDR-Spion Martin Rauch (Jonas Nay) Westdeutschland infiltrierte, um an geheime Informationen zu gelangen. Derzeit fristet er jedoch ein klägliches Dasein in Angola – bis seine Tante Lenora (Maria Schrader) auftaucht, mit einem neuen Auftrag im Gepäck. Dieses Mal geht es um ein Waffengeschäft, das jede Menge Geld bringen soll. Und Geld kann die DDR gut gebrauchen: Im Jahr 1986 ist der Staatsbankrott gefährlich nahe, nur mit großer Mühe und zweifelhaften Geschäften hält man sich noch über Wasser. Aber auch in Westdeutschland ist die Lage angespannt, an allen Ecken und Enden drohen Probleme – bis die Bombe platzt.
Man mag geteilter Meinung sein, ob der gewaltsame Vormarsch der Streaminganbieter im Filmbereich mehr Vorteile oder Nachteile bringt. Zumindest Serienfans dürften über die Konkurrenz zum regulären Fernsehen sehr glücklich sein. Nicht nur dass man seine Favoriten nun immer am Stück schauen kann, das berühmte Binge Watching. Immer häufiger kommt es vor, dass die Onlinegiganten Serien retten, die andernfalls nun schon vorbei wären. Kürzlich durften sich Anhänger The Expanse und Lucifer freuen, dass ihre Lieblinge auf diese Weise in die Verlängerung gingen. Und auch Deutschland 86 hätte es ohne den Einstieg von Amazon kaum gegeben.
Eine deutsch-deutsche Ausnahmeserie kehrt zurück
Dabei war das drei Jahre zuvor gestartete Deutschland 83 ein echtes Aushängeschild der hiesigen Fernsehkultur gewesen, das sogar im Ausland Aufmerksamkeit erregte – für eine deutsche Serie ein Novum. Es war aber auch zu ungewöhnlich und gleichzeitig zu unverkennbar deutsch, was hier abgeliefert wurde. Eine Serie über einen DDR-Spion in Westdeutschland, das verband klassische Spionageszenen mit persönlichem Drama mit jeder Menge Zeitkolorit. Der Hintergrund der deutschen Teilung war hier nicht einfach nur das Setting für einen üblichen Kalter-Krieg-Thriller. Da wurde genüsslich und sehr sehenswert mit den Unterschieden gespielt, darüber hinaus geradezu unverschämt an die Nostalgie des Publikums appelliert.
Das gilt zum Teil auch für Deutschland 86. Allerdings muss man dieses Mal dafür eine ganze Weile warten. Nicht nur Martin dürfte sich anfangs wundern, was genau er in Angola zu schaffen hat. Auch das Publikum dürfte große Fragezeichen über den Köpfen haben, wenn der Schauplatz plötzlich Hunderte von Kilometer in den Süden verlegt wurde. Was soll daran noch Deutschland sein? Offensichtlich war man hier der Ansicht, dass das ursprüngliche Konzept keine zweite Staffel tragen würde. Oder man wollte die Gelegenheit beim Schopf packen und mal so richtig protzen, dabei noch kräftig aufs Gaspedal drücken.
Bombastisch schwacher Einstieg
Das ist für eine deutsche Serie durchaus ambitioniert, selten erlebt man es hierzulande, dass derart scharf geschossen wird, dass es so laut kracht und knallt. Allerdings verliert Deutschland 86 aber genau das, was die erste Staffel auszeichnete. Der Versuch der Internationalisierung führt erst einmal dazu, dass das hier ziemlich austauschbar wird, eine Spionageserie, wie man sie überall finden könnte. Auch das könnte man als eine Aufwertung verstehen, Deutschland darf endlich so sein wie die anderen! Verwunderlich ist es aber schon, wenn nicht gar schade, wie sehr sich die zweite Staffel erst einmal wegbewegt, lieber auf Bombastklischees und reguläre Schauwerte vertraut.
Die zweite Hälfte, wenn Martin und Lenora in die Heimat zurückkehren, ist daher auch die spannendere. Wie schon in der ersten Staffel werden dabei kräftig historische Entwicklungen mit Fiktion vermischt, um daraus eine unterhaltsame Zeitreise zu basteln. Und eine thematisch beeindruckend breite: Neben den gewohnten Spionagemomenten finden sich auch so prägende gesellschaftliche Themen wie der Anschlag auf eine Berliner Disko, AIDS oder das Unglück von Tschernobyl wieder. Das Zusammenspiel der verschiedenen Handlungsstränge funktioniert nicht immer so recht, die Serie ist mehr zeitbezogenes Kaleidoskop anstatt richtiger Geschichte. Spaß macht es trotzdem. Dazu gibt es, quasi zur Auflockerung, ein paar skurrilere Momente. Neu im größtenteils bekannten Personal ist beispielsweise Anke Engelke als quengelnde Kassenwartin. Zudem vermied man es dieses Mal glücklicherweise, zu sehr in Seifenoper-Abgründe hinabzugleiten. Insgesamt ist Deutschland 86 daher ein zwar schwächeres, aber immer noch willkommenes Wiedersehen mit den Vorzeigespionen, das auf eine zum Ende hin angedeutete dritte Staffel Lust macht.
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