Als die junge amerikanische Tänzerin Susie Bannion (Dakota Johnson) 1977 nach Berlin zieht, um dem renommierten Markos Tanzensemble beizutreten, stehen die Chancen eigentlich schlecht. Schließlich hat Susie bis dahin keinerlei Ausbildung gehabt. Doch wider Erwarten hat sie Erfolg: Ihr wildes, enthemmtes Vortanzen imponiert der Leiterin Madame Blanc (Tilda Swinton). Zudem ist seit dem Verschwinden von Patricia (Chloë Grace Moretz) ohnehin ein Platz im Ensemble freigeworden. Das Glück scheint der ambitionierten Tänzerin also hold zu sein. Sie steigt schnell in der Gunst, freundet sich mit ihrer Kollegin Sara (Mia Goth) an. Nach einiger Zeit muss sie jedoch feststellen, dass etwas Seltsames an der Schule vor sich geht. Und auch Patricias früherer Therapeut Dr. Jozef Klemperer (Swinton) ahnt, dass die Damen nicht das sind, als was sie sich ausgeben.
Diesen Herbst darf man sich als Horrorfan durchaus fragen, ob die Tür zum Kinosaal nicht gleichzeitig die einer Zeitmaschine waren. Erst startet Ende Oktober der Jubiläumstitel Halloween, drei Wochen später folgt das lang erwartete Suspiria. Nun sind Remakes und Fortsetzungen natürlich keine Seltenheit. Selten aber sind sie vergleichbar stark in der Vergangenheit verwurzelt wie diese beiden, die Ende der 1970er ihren Anfang nahmen. Und gehen doch völlig unterschiedlich an die Arbeit. Wo die Rückkehr des Kult-Killers Michael Myers eine in der Gegenwart angesiedelte Hommage ist, spielt diese Neuerzählung im Jahr 1977 – das Jahr, in dem das Original Suspiria erschien – und macht alles anders als der Klassiker.
Strenger Blick auf den Abgrund
Anders als Dario Argentos losgelöste, rauschartige Fassung ist die Interpretation von Luca Guadagnino (Call Me by Your Name, A Bigger Splash) recht nüchtern. Dann und wann finden sich Emotionen darin wieder, etwa in den ekstatischen Tänzen, die weniger durch akrobatische Körperbeherrschung ins Auge stechen als durch gewaltsame Zuckungen – so als wären die Damen allesamt vom Teufel besessen. Aber das ist eher selten der Fall. Der Wahnsinn mag in den Frauen umgehen, die unter dem Vorwand des Ensembles ganz andere Projekte vorantreiben. Auf der Leinwand ist davon aber eher selten etwas zu sehen. Dort herrscht formale Strenge.
Dort herrschen aber auch dunkle Farben. Guadagnino und der thailändische Kameramann Sayombhu Mukdeeprom nehmen uns mit in ein Berlin, das von dem RAF-Terror und der Entführung des Landshut-Flugzeugs wie gelähmt ist. Das vielleicht aber auch von dem schlechten Wetter gelähmt ist: In Suspiria regnet es fast ununterbrochen. Selbst wenn wir einmal die düsteren Räume des Tanzstudios verlassen dürfen, freundlich oder optimistisch wird es nie. Selbst das Glück von Susie hat eine kurze Halbwertszeit, wenn Erfolge durch Zusammenbrüche oder nächtliche Albträume zunichte gemacht werden.
Kein Horror von der Stange
Letztere gehören auch zu den Momenten, in denen Suspiria zeigt, dass es nach wie vor Horror sein will. Ansonsten kümmert sich Guadagnino herzlich wenig darum, was heutige Kinogänger von einem solchen Film erwarten. Jump Scares interessieren den Italiener nicht, nur selten baut er tatsächlich spannende Szenen ein. Sehr selten sogar für einen Film solch monumentalen Ausmaßes (zweieinhalb Stunden). Die Ausbrüche sind sporadisch, stattdessen werkelt er an einer bedrückenden Atmosphäre. Ganz auf Gewalt und grausige Szenen muss das Publikum nicht verzichten, darunter eine besonders brutale Tanzszene sowie das exzessive Finale. Aber solche Szenen bleiben die Ausnahme, die vorangegangenen Gerüchte, das Werk wäre ein Anwärter auf den Titel des verstörendsten Filmes des Jahres, die bestätigt das Endergebnis nicht.
Sehenswert ist Suspiria, das während der Filmfestspiele von Venedig 2018 Premiere feierte, aber durchaus. Man muss nur wissen, worauf man sich einlässt. Ein herkömmlicher Schocker ist das hier sicher nicht, stattdessen ein Arthouse-Horror-Drama mit starken feministischen Tendenzen: Die einzige nennenswerte männliche Figur hier ist die des Therapeuten Klemperer, gespielt von einem Alter Ego der wie immer wandlungsfähigen Swinton. Gerade bei ihr und den nicht mehr ganz jungen Mitgliedern des Ensembles macht es Spaß zuzusehen, wenn sie über Abgründe hinwegtänzeln – mit einem verspielten Sinn fürs Grausame. Zudem gibt Guadagnino seiner Vision auch noch politische und philosophische Anstriche, wenn alte Kräfte in den Krieg ziehen, der Film auch von der Verarbeitung der Vergangenheit handelt, die unentdeckt im Verborgenen wuchert. Ob es das gebraucht hätte, darüber ließe sich streiten, der Film dürfte für viele zu verkopft sein, mal zu viel, mal zu wenig machen. Aber es ist doch eine Bereicherung für das Horrorgenre, das zu oft nach den Regeln spielt, sich zu oft vor der Vergangenheit verneigt, anstatt diese auch einmal in Frage zu stellen.
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