Skrupel? Die kannte Ito (Joe Taslim) bislang eigentlich nicht. Die wären aber auch nur hinderlich gewesen, schließlich gehört er den Six Seas an, bedeutenden Führungspersönlichkeiten der mächtigen South East Asia Triaden. Und wer in dem Geschäft nicht Härte zeigt, der ist fehl am Platz. Das muss auch Ito feststellen, als er es einfach nicht übers Herz bringt, die kleine Reina zu ermorden, nachdem schon ihr ganzes Dorf draufgehen musste. Itos Chef Chien Wu (Sunny Pang) ist darüber jedoch nicht amüsiert, umso mehr, da diverse seiner Männer aufgrund dieses Ungehorsams ihr Leben lassen mussten Also schickt er eine Reihe von Killern hinterher, um das Problem zu lösen, darunter auch Arian (Iko Uwais) – ein alter Freund von Ito.
Aller guten Dinge sind drei. Bei seinen Welteroberungsplänen hat Netflix in den letzten Wochen schon zweimal in Indonesien Halt gemacht und uns von dort die leider recht mäßigen Horrorstreifen Das dritte Auge und Kuntilanak mitgebracht. Der deutlich bessere dritte Import aus dem südostasiatischen Inselstaat richtet sich ebenfalls an ein Publikum, das es gern ein bisschen düsterer mag. Wobei dieses Mal der Fokus nicht auf übersinnlichem Grusel liegt, sondern auf handfester Action. Zumindest solange es die Hand noch gibt, denn Extremitäten werden hier ganz gerne mal abgehackt oder anderweitig verstümmelt.
Der Mensch, dein natürlicher Feind
Tatsächlich steht The Night Comes for Us in der zweiten großen indonesischen Filmtradition neben Horror: brachiale Action. Nahezu jede Figur, die hier auftaucht, zieht es vor, Worte durch Taten zu ersetzen, jede Begegnung kann die letzte sein. Schließlich ist erst einmal jeder dein Feind, kann es zumindest sein. Die einzige Figur, die kein Waffenarsenal mit sich herumschleppt, ist Reina. Sie hat aber auch sonst nichts, das sie auszeichnet. Als kleines Mädchen besteht ihre einzige Funktion darin, dass alle anderen sich die Köpfe einschlagen oder anderweitig die Belastbarkeitsgrenzen der menschlichen Anatomie testen.
Es ist dann auch diese Brutalität, welche den Film auszeichnet – zumindest für das anvisierte Zielpublikum. Alles andere verschwindet dahinter. Anfangs versucht Regisseur und Drehbuchautor Timo Tjahjanto (Headshot) noch, so etwas wie einen narrativen Rahmen herzustellen, indem er uns mittels Texttafeln etwas über die Triaden und die Six Seas erzählt. Dieser Rahmen wird direkt im Anschluss aber zertrümmert, wenn Horden blutrünstiger Killer aufeinander losgelassen werden. Ein böser Mann will ein kleines Mädchen beschützen, noch bösere Männer und Frauen wollen ihn dafür töten. Aus Prinzip. Das ist nicht anspruchsvoll oder einfallsreich, der indonesische Filmemacher brauchte einfach nur einen Anlass für sein Massaker. Man hätte die fünf Minuten Geschichten aus dem zwei Stunden langen Film auch einfach herausschneiden können, ohne dass es einen Unterschied gemacht hätte.
Lasst es krachen!
Zu sehen gibt es dafür jedoch eine ganze Menge. Anhänger des filmisches Blutrausches made in Indonesia dürfen sich darauf freuen, wie hier wilde Bestien aufeinander losgehen, mal Fäuste und Füße verwenden, mal Messer und Pistolen. Manchmal darf aber auch ein bisschen improvisiert werden, da wird dann schon mal die Inneneinrichtung zu einer tödlichen Waffe umfunktioniert. Effektiv ist das zweifelsfrei, wenn auch nicht immer schön anzusehen. In mehrfacher Hinsicht: Der Actionfilm hat trotz Iko Uwais nicht die elegante Brutalität von The Raid. Bei The Night Comes for Us darf es sehr viel dreckiger zugehen, ist zuweilen Grindhouse-Horror näher als einem regulären Actionstreifen.
Eine Zeit lang ist das, ein robusterer Magen vorausgesetzt, durchaus unterhaltsam – anders als bei Mile 22 kürzlich dürfen wir hier die Martial-Arts-Einlagen auch wirklich sehen, anstatt diese durch Schnittgewitter unkenntlich zu machen. Auf Dauer zieht sich das Nonstop-Gemetzel dann aber schon ein wenig. Da The Night Comes for Us völlig auf einen emotionalen Unterbau verzichtet und komplett inhaltsleere, willkürlich zuckende Körper durch die Gegend schlachtet, entsteht bei dem Film nie wirklich Spannung. Es gibt schlicht keinen Grund, hier bei irgendjemandem mitfiebern zu wollen. Und auch das Fehlen jeglicher überraschenden Momente trägt dazu bei, dass man sich hier schneller sattsieht, als es einem lieb ist. Dafür nimmt sich der Film auch zu ernst, ist zwar völlig over the top, ohne dabei aber Humor zu zeigen. Wer solche brachialen, dreckigen Actionstreifen zu schätzen weiß, gerade auch als Gegenstück zu den recht cleanen US-Gegenstücken, der schaut dennoch mal rein. Denn wirklich oft bekommt solche Hyperdrive-Schlachtplatten ja nicht zu sehen.
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