Touch Me Not
© Alamode Film
Touch Me Not
„Touch Me Not“ // Deutschland-Start: 1. November 2018 (Kino) // 5. April 2019 (DVD)

Als Touch Me Not bei der Berlinale 2018 den Goldenen Bären des Wettbewerbs abstaubte, dürfte manch einer ungläubig gestaunt haben. Nicht nur, dass wohl die wenigsten den Film auf dem Schirm gehabt haben dürften bei der Prognose des Favoriten. Man hätte der manchmal als provinziell-richtungslosen alten Tante der großen Filmfestivals auch nicht zugetraut, überhaupt für eine solche Kontroverse zu sorgen. Denn man kann sich beim neuesten Werk der rumänischen Regisseurin Adina Pintilie nicht nur trefflich darüber streiten, ob es wirklich der beste Film des Festivals war. Man kann sich auch darüber streiten, ob es überhaupt die Beschreibung Film verdient.

Man könnte Drama dazu sagen oder auch Dokumentation, in den Beschreibungen wird Touch Me Not gern als eine Zwischenform davon bezeichnet. Gleichzeitig ist es aber auch eine Performance, die näher an einer Kunstinstallation ist als an einem narrativen Werk. Und es ist ein Experiment. Ein Experiment für die Menschen, die sich vor der Kamera tummeln. Ein Experiment für die Leute da draußen, die nun in ihren Kinosesseln sitzen und sich fragen müssen: Was genau soll das da vorne?

Schmerzliche Intimität
Das Thema selbst ist dabei klar umfasst, wird auch im Titel aufgegriffen. Es geht um Nähe, um das Berühren. Um die Sehnsucht nach beiden wie auch um die Furcht davor. Dafür versammelt Pintilie eine Reihe von Menschen, lässt diese ihre Geschichten erzählen und sich in einer Reihe von Szenen selbst entdecken oder auch andere entdecken. Das ist teilweise von einer fast schmerzhaften Intimität: Wenn Tómas das Gesicht des schwerstbehinderten Christian abtastet, an dessen Mund unentwegt Speichel klebt, und anschließend seine Gefühle beschreiben muss, dann fordert das auch dem Publikum einiges ab.

Auch andere Segmente des völlig ohne roten Faden arbeitenden Films werden von Selbstentdeckungen handeln, von körperlichen wie seelischen Entblößungen. Da stehen Besuche beim Therapeuten an, besagte Experimente in der großen Gruppe, dazu ein paar Begegnungen mit Prostituierten. Aber nicht alles davon wirkt real. Im Gegenteil, Touch Me Not begibt sich vereinzelt in surreale Territorien, baut zudem Metaebenen ein, wenn Pintilie die Kamera als solches zum Thema macht.

Verloren zwischen Fakt und Fiktion
Das mag man faszinierend finden, wie der Film kontinuierlich Grenzen verschwinden lässt, bei der Entdeckungsreise Realismus und Künstlichkeit miteinander zu verbinden versucht. Aber es ist doch auch enttäuschend bis irritierend. Denn ausgerechnet der Wechsel von Fiktivem und Dokumentarischen, der nie als solcher zu erkennen ist, führt dazu, dass hier nichts echt wirkt. Bestärkt wird das durch die klinisch weißen Räume, die eher aus einem Science-Fiction-Film stammen denn aus einer erfahrbaren und erfühlbaren Menschenwelt. Ebenso bleiben die Figuren außer Reichweite, haben zwar teilweise Hintergrundgeschichten, aber kein Leben.

Die Folge: Ausgerechnet ein Film, der vom Berühren spricht und behandelt, berührt nicht. Die Nähe, die hier thematisiert wird, bleibt eine theoretische. Teile von Touch Me Not sind interessant, würden aber als selbst durchgeführte Experimente mehr Wirkung erzählen. Einfach nur davon zu hören oder anderen dabei zuzusehen, das ist zu wenig. Zu abstrakt. Man braucht schon selbst einige Berührungsängste, um von dem mitgenommen zu werden, was Pintilie da veranstaltet.



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„Touch Me Not“ ist ein Film, der das Publikum spaltet – auch weil nicht klar ist, ob es überhaupt ein Film ist. Die Mischung aus Fiktivem und Dokumentarischem, aus experimenteller Nähe und intellektueller Metaspielerei ist sicher nicht uninteressant, ist letztendlich aber zu künstlich, als dass sie von einigen wenigen Szenen abgesehen eine reale Wirkung ausüben und dem Titel entsprechend berühren würde.