Leicht hat es Xiaoping (Miao Miao) sicher nicht in ihrem Leben. Ihr Vater ist schon seit Längerem in Haft, weil er sich der Kulturrevolution Chinas widersetzt hat, was auch sie zu spüren bekommt. Also nimmt sie den Namen ihres Stiefvaters an und schließt sich einer Tanzgruppe der Volksbefreiungsarmee an, in der Hoffnung, dass nun alles besser würde. Aber das stellt sich bald als Irrtum heraus. Während der freundliche Liu Feng (Xuan Huang) ihr zur Seite steht und auch Suizi (Chuxi Zhong) ein paar nette Worte für sie übrig hat, wird sie für andere wie Shuwen (Xiaofeng Li) oder Dingding (Caiyu Yang) zu einem willkommenen Mobbingopfer. Doch die schlimmsten Erfahrungen stehen ihr erst noch bevor, als es tatsächlich zu einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem benachbarten Vietnam kommt.
Xiaogang Feng ist derzeit sicher einer der bekanntesten, wenn auch widersprüchlichsten Regisseure Chinas. Eine ganze Reihe größerer Hits geht auf das Konto des gebürtigen Pekingers. Und doch schaffte es der Filmemacher in seinen letzten Werken immer wieder deutliche Kritik an seinem Heimatland einzubauen. In I Am Not Madame Bovary wird ein Scheidungsdrama zu einer Farce über chinesische Bürokratie und Korruptheit. Und auch Youth, immerhin einer der zehn erfolgreichsten Filme 2017 im Reich der Mitte, hat einige wenig schmeichelhafte Punkte zu sagen.
Darüber möchte ich jetzt nicht reden …
Dass beispielsweise der chinesisch-vietnamesische Krieg erwähnt wird, das ist keine Selbstverständlichkeit. Der dauerte 1979 zwar nur wenige Wochen, ist aber ein ungeliebtes Thema – zu viele Menschen starben, zu strittig ist dessen Ende. Im heutigen doch recht patriotisch gefärbten Chinakino – siehe Wolf Warrior 2 beispielsweise – ist das schon ungewöhnlich. Ebenso dass die Mitglieder der Truppe keine Helden sind, weder während der gemeinsamen Zeit, Stichwort Mobbing, noch danach, wenn Feng uns zeigt, was aus den Protagonisten geworden ist.
Geling Yan, die den zugrundeliegenden semibiografischen Roman wie auch das Drehbuch verfasst hat, geht es dabei aber weniger um das Land als solches oder auch den Umgang mit den Menschen während der Kulturrevolution. Youth ist, wie der Titel bereits verrät, ein Film über die Jugend, über das Heranwachsen. Das mag hier in einem sehr spezifischen Umfeld geschehen – wer kann schon von sich behaupten in einer Militär-Tanztruppe gewesen zu sein? –, doch vieles von dem, was hier erzählt und gezeigt wird, ist sehr viel universeller.
Die gute alte Zeit
Das Schicksal von Xiaoping könnte man sich auch gut als beliebige High-School-Geschichte vorstellen, wenn die junge Protagonistin mit fiesen Mitschülern und einer unerkannten Liebe hadert. Entsprechend leicht fällt es, Mitgefühl zu ihr zu entwickeln, auch wenn ihre Passivität manchmal etwas an den Nerven kratzt. Und doch geht der Eröffnungsfilm von Chinesischen Filmfest München 2018 mit Nostalgie einher, der Sehnsucht nach einer Zeit, die nicht unbedingt schön, aber doch wichtig und prägend war. Eine Zeit, in der man sich und die Welt kennenlernt, Freude wie Leid erfährt.
Etwas zwiespältig ist Youth jedoch durch die Entscheidung, einen sehr weiten Bogen zu spannen, von den frühen 1970ern bis in die 1990er. Das zieht den Film nicht nur in die Länge, sondern macht es auch schwierig, immer in die Tiefe zu gehen. Das fällt bei einigen Themen besonders auf, die aus dem Nichts auftauchen und ebenso schnell wieder zu den Akten gelegt werden, ohne dass sie eine Aufklärung erfahren. Da hätte man diese auch einfach streichen können. Allgemein stimmt die zeitliche Gewichtung nicht immer so ganz, manche Figuren kommen zu kurz. Dennoch ist das Drama insgesamt sehenswert, oft auch bewegend, überzeugt zudem durch die Kameraarbeit: An mehreren Stellen wirbelt sie herum und bringt uns in längeren Plansequenzen den Trubel und den Schrecken näher, lässt uns dabei den Überblick verlieren, so wie es eben auch den jungen Menschen passiert, die vom Leben überwältigt werden.
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