Wer die deutsche Seele verstehen will, der muss sich bei den Bestimmungen zu den deutschen Schrebergärten auskennen, heißt es sinngemäß in Aggregat. Das ist in dem Moment natürlich etwas humorvoll gemeint. So wie der Dokumentarfilm auch mit einer humorvollen Szene im Deutschen Bundestag beginnt, wo die Besucher einen Einblick in die deutsche Politik erhalten. Aber vielleicht ist es auch der Humor der Verzweiflung. Denn wenn Regisseurin Marie Wilke in ihrem Werk eines demonstriert, dann ist es die Hilflosigkeit der Politiker bei dem Versuch, die deutsche Seele verstehen wollen.
Uns geht es so gut, wie seit 25 Jahren nicht mehr, heißt es an einer Stelle. Gleichzeitig ist die Stimmung so schlecht, wie seit 25 Jahren nicht mehr. Diese Diskrepanz erklären zu können, das ist eine Aufgabe, an der sie alle irgendwie scheitern – ganz zu schweigen von der Aufgabe, dagegen anzugehen. Aggregat zeigt dann auch eine Gesellschaft, die langsam aber sicher auseinanderbricht, vergiftet durch Stammtischparolen und gespenstische Sprechchöre, die unentwegt „Lügenpresse“ skandieren.
Überall und nirgends
Einen wirklichen roten Faden hat der Dokumentarfilm, der auf der Berlinale 2018 debütierte, dabei nicht. Vielmehr springt Aggregat wild umher, lässt Politiker zu Wort kommen, schaut bei Redaktionen vorbei, aber auch der kleine Mann von der Straße darf sich einbringen – mal mit gruseligen, mal mit überraschend pointierten Aussagen. Wilke hält sich selbst bei dieser Sammlung zurück, kommentiert nicht, wertet nicht. Und doch drängt sich der Eindruck auf, dass der Film zumindest ein Plädoyer ist, einmal genauer hinzuhören. Die Leute, die gegen Immigranten hetzen, gegen die Medien oder auch Politiker, vielleicht nicht nach dem Mund zu reden, ihre Anliegen aber ernstzunehmen.
Aber selbst wenn der Film keine eindeutigen Schlüsse zulässt und manchmal etwas wahllos wirkt – die vielen Szenen zusammen ergeben einen doch spannenden Einblick in eben die deutsche Seele, die sich kaum mehr erschließt. Eine Seele, die so viele Facetten aufweist, so zersplittert ist, dass man sich fragt, ob es sie überhaupt noch gibt. Sonderlich viel Mut macht Aggregat deshalb nicht, dass sich da in Zukunft etwas bessern könnte. Dafür bräuchte es erst einmal ein wirkliches Konzept, vielleicht auch das passende Personal, um Brücken zu bauen. Aber vielleicht hilft der Dokumentarfilm ja zumindest dabei, wieder mehr darüber nachzudenken.
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