An Elephant Sitting Still
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An Elephant Sitting Still

An Elephant Sitting Still
„An Elephant Sitting Still“ // Deutschland-Start: 15. November 2018 (Kino)

Habt ihr schon gehört? In Manzhouli soll es einen Elefanten geben, der einfach nur dasitzt, sich nicht rührt. Ist das nicht komisch? So richtig zu lachen ist das Leben im Norden Chinas aber nicht. Nicht für Yang Cheng (Zhang Yu), der von dem Selbstmord eines guten Freundes traumatisiert ist, oder auch für Wei Bu (Peng Yuchang), der einen Schulbully die Treppe hinuntergestoßen hat und nun auf der Flucht ist. Huang Ling (Wang Yuwen) befindet sich hingehen im Dauerclinch mit ihrer Mutter und sucht Trost in den Armen des verheirateten Co-Rektors in ihrer Schule. Für Wang Jin (Liu Congxi) ist die Schulzeit weit weg. Stattdessen soll der Rentner ins Altersheim, so zumindest will es sein Sohn.

Die explosionsartige Entwicklung Chinas in den letzten Jahren ist geradezu sprichwörtlich, weite Teile des Landes genießen einen bislang ungekannten Lebensstandard. Und doch häufen sich seit einiger Zeit Filme, die eine sehr viel weniger vorzeigbare Seite des Reiches der Mitte zeigen. Ob nun Asche ist reines Weiß oder The Looming Storm, Old Beast oder Have a Nice Day – das chinesische Kino macht derzeit weltweit durch Werke auf sich aufmerksam, in denen recht unverblümt richtig hässliche Facetten des asiatischen Großreiches angesprochen werden. Von einer Gesellschaft im Wandel die Rede ist, von Verlierern, von Perspektivlosigkeit.

Ein trostloses Grau 
Doch trotz der großen Konkurrenz, kaum ein Film wird dabei ähnlich trübe und deprimierend wie An Elephant Sitting Still, das 2018 auf Berlinale Weltpremiere feierte und anschließend auf mehreren Festivals zu sehen war. Oder auch nicht zu sehen war: Das Drama spielt oft in dunklen Bereichen der nordchinesischen Stadt, mischt mit Vorliebe Blau mit Grau, übertüncht mit zahlreichen Schatten. Wenn sich eines der angesprochenen Schicksale des Films um einen Selbstmord dreht, dann ist das eigentliche Wunder: Warum tun das hier nicht viel mehr Leute? Hier ist nur wenig zu sehen, das zum Weiterleben animiert, nur wenig zu spüren.

Umso bitterer ist, dass Regisseur und Drehbuchautor Bo Hu, der hier sein Langfilmdebüt drehte, selbst keinen Lebenswillen mehr hatte. Kurz nach Abschluss seines Films nahm er sich selbst das Leben, konnte nicht einmal die Premiere abwarten. Doch auch ohne Kenntnis dieser Begleitumstände ist An Elephant Sitting Still ein Film, der einem nahegeht, einem emotional viel zumutet. Es spielt keine Rolle, ob man wie die Protagonisten am Anfang des Lebens oder an dessen Ende steht, die Geschichten schwanken zwischen Verzweiflung und Desillusionierung. Gewalt bestimmt die Tagesordnung, sei es physisch oder psychisch. Es ist nicht einmal so, als würden die Menschen noch groß miteinander reden. Wüste Beschimpfungen bis zu täglichen Todesdrohungen begleiten die zwischenmenschlichen Beziehungen, die eigentlich keine sind.

Das allmähliche Ende eines langen Tages
Die gibt es nicht einmal zwischen den Protagonisten. Vier Handlungsstränge sind es, die Hu da allmählich entspinnt und uns durch die graue Stadt führen. Anfänglich sind die weitestgehend unabhängig voneinander, erst nach und nach werden sie punktuell zusammenfinden. Dafür lässt sich der Chinese viel Zeit, knapp vier Stunden dauert das Werk, obwohl es nur an einem einzigen Tag spielt – was den Film auch in dieser Hinsicht zu einer Zumutung macht. Zu einer Zumutung jedoch, die reich belohnt wird, lässt man sich erst einmal auf diese ein. Auf die Figuren, die alle auf ihre Weise zu kämpfen haben, an der Welt gescheitert sind, kaputt gegangen sind.

Lichtblicke sind dabei Mangelware, da muss dann schon einmal eine Geschichte her: die des regungslosen Elefanten. Die Protagonisten werden alle irgendwann über das tonnenschwere Tier stolpern, über das so viel erzählt wird. Gezeigt wird es nicht, der Film endet mit der geplanten Zugfahrt, welche für die Figuren zum Symbol der Hoffnung wird. Sie alle wollen irgendwie raus, weg von allem, ihr Leben hinter sich lassen, in dem sie gefangen sind. Aus den Schatten treten, die sie oft überlagern und unkenntlich machen. Und zumindest für einen Moment lässt einen Hu auch daran glauben, dass dies möglich ist, dass es einen Ausweg aus der Tristesse und Verzweiflung gibt, die uns umgibt, die ihn umgibt. Einfach ist An Elephant Sitting Still sicher nicht, dafür ist es zu sperrig, zu langsam, zu hässlich. Und doch eben auch auf seine Weise schön und berührend, eine vorsichtige und tröstliche Berührung in der einsamen Nacht.



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„An Elephant Sitting Still“ ist eine echte Herausforderung an das Publikum, und das nicht nur wegen der knapp vier Stunden langen Laufzeit. Das Drama um mehrere Verzweifelte und Verlierer einer nordchinesischen Stadt ist visuell wie inhaltlich bedrückend, findet aber inmitten der blau-grauen Dunkelheit Trost in einer allmählichen Annäherung und einer Geschichte, die keine ist.
8
von 10