Es ist eine der schönsten Erinnerungen, die Gisèle (Marianne Garcia) an ihren Mann hat: die gemeinsame Reise nach Kanada. Doch nun ist er fort, gestorben, aus ihrem Leben gerissen. Fest entschlossen, das Andenken an den Verstorbenen aufrecht zu erhalten, begibt sich die ältere Französin daher auf eine zweite Reise in den fernen Westen. Begleitet wird sie dabei von ihrer Tochter Candy (Miss Ming), die sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen will, Fotos von ihrer Mutter zu schießen – je eigenartiger, umso besser. Das wird auch Jacqques (Jacques Newashish) bald feststellen, ein indigener Darsteller, der die Bekanntschaft der beiden macht und sich ihrer kleinen Reise anschließt.
Während die italienische Interpretation des uramerikanisches Westerngenres selbst Weltruhm erlang unter dem appetitlichen Spitznamen „Spaghetti Western“, waren andere europäische Deutungen filmische Nebenschauplätze. Das gilt auch für die französischen Werke, die – angelehnt an das italienische Vorbild – manchmal „Camembert Western“ getauft wurden und sich auf eine ironische Weise des Materials annahmen. Ganz zufällig wurde der Titel Cowboy Camembert daher sicher nicht gewählt, wenn auch hier alte USA-Bilder mit französischem Humor gekreuzt werden.
Die spinnen, die Franzosen …
Lustig geht es auch los, wenn Gisèle, ihr liebender Ehemann und diverse Freunde und Bekannte sich am Line Dance versuchen, riesige Cowboy-Hüte auf dem Kopf, so als wäre wir irgendwo im tiefsten Süden der USA gelandet. Stattdessen befinden wir uns aber in einer französischen Kleinstadt, die noch immer dem Traum des freien Wilden Westens anhängt, welche früher so oft und gern glorifiziert wurde. Zumindest anfangs sieht es auch danach aus, als würden sich Nicolas Bellenchombre und Cédric Tanguy, die gemeinsam Regie führten und das Drehbuch schrieben, darüber lustig machen würden. Als wäre Cowboy Camembert eine weitere Komödie über Touristen, die sich lächerlich machen, ohne es zu merken – garniert mit satirischen Seitenhieben auf gut gemeinten Rassismus.
Doch auch wenn die beiden Filmemacher bei ihrem Debüt später immer wieder komische Szenen einbauen, es ist doch nur die halbe Wahrheit. Wo beispielsweise der deutsche Kollege Vielmachglas auf ähnliche Weise einen Tod als Aufhänger für eine komische Rundreise nutzte, so sind hier die Auswirkungen dieses Todes sehr viel deutlicher zu spüren. Immer wieder gibt es emotionale Momente, die im bekömmlichsten Fall rührend, manchmal aber auch herzzerreißend sind. Gisèle ist nicht einfach unterwegs, um sich selbst zu finden. Sie sucht vor allem einen Weg, um mit der Situation fertig zu werden: Was mache ich, wenn die Liebe meines Lebens, mit der ich Jahrzehnte verbracht habe, nicht mehr da ist? Nie wieder da sein wird?
Zwischen Wunder und Traum
Nun ist auch die Kombination von Komik und Tragik keine sehr ungewöhnliche. Es dürfte inzwischen sogar mehr Beispiele für Mischformen als reine Genre-Vertreter geben. Was diese skurrilere Variante von den vielen ähnlichen Titeln unterscheidet, ist neben der großen Warmherzigkeit der Mut zum Surrealen. Immer wieder gibt es in Cowboy Camembert Bilder zu bewundern, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Wenn sich Gisèle bei Jacques darüber beklagt, ihre Tochter würde nur so komische Bilder machen, dann ist das nicht übertrieben. Seltsam sind sie, voller Elemente, die nicht hierher gehören. Oder überhaupt irgendwohin gehören. Die eingebettet sind in wunderbare Aufnahmen des Westens, archaisch, verfremdet, kunstvoll durchkomponiert, die alleine schon den Film lohnenswert machen. Leider ist ein deutscher Kinostart bislang nicht vorgesehen, nicht einmal den Franzosen wurde ein solcher vergönnt. Immerhin ist die eigenwillige Reise auf ein paar Filmfesten zu sehen, darunter die Französischen Filmtage Tübingen-Stuttgart und das Filmfestival Mannheim-Heidelberg.
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