Alle 997 Jahre soll in dem abgelegenen japanischen Wald ein Kraut namens „Vision“ blühen, dessen Sporen heilsame Kräfte nachgesagt werden. Davon ist zumindest die französische Reiseautorin Jeanne (Juliette Binoche) überzeugt, die gemeinsam mit ihrer Übersetzerin Hana (Minami) ans andere Ende der Welt gereist ist, um eben diese Pflanze zu finden. Eine schwierige Aufgabe, wie sich bald herausstellt, denn nicht einmal Einheimische wie Tomo (Masatoshi Nagase), der den beiden Unterschlupf gewährt, haben von diesem Wunderwerk gehört. Doch da ist auch noch Aki (Mari Natsuki), eine alte, blinde Einsiedlerin, um die sich Tomo kümmert, die sehr viel mehr über den Wald weiß, als es zunächst den Anschein hat.
Bekannt ist Naomi Kawase sicherlich, zumindest einem Arthouse-Publikum. Nicht nur, dass die Japanerin regelmäßiger Gast in Cannes ist, sie ist auch derzeit die einzige Filmemacherin aus Fernost, deren Werke tatsächlich in Deutschland erscheinen. Im Kino wohlgemerkt. Sonderlich erfolgreich waren diese bislang aber nicht, weder hier noch sonst wo. Gut möglich, dass Kawase das dieses Mal ändern wollte. Mit Die Blüte des Einklangs drehte sie erstmals einen Film auf Englisch, teilweise zumindest, und gab mit Juliette Binoche einer westlichen Schauspielgröße die Hauptrolle. Das Drama feierte zudem beim Toronto International Film Festival 2018 seine Weltpremiere, das sehr viel mehr auf ein größeres Publikum schielt als das französische Traditionsfestival – das aufgrund der Darstellerin eigentlich naheliegend gewesen wäre.
Aus Liebe zu allem
Wer sich davon jedoch erhofft hat, Kawase könnte einen kommerzielleren Weg einschlagen, der wird bald eines Besseren belehrt. Die Blüte des Einklangs führt das fort, was sie bereits vorher immer wieder auf die Leinwand brachte. In einer teils sogar verschärften Form. Ihre Liebe zur Natur, die schimmerte vorher bereits regelmäßig durch, vor allem natürlich in Still the Water, ihrem animistisch-esoterischen Inseldrama. Die hübsche Strandkulisse wurde hier zwar gegen einen dichten Wald eingetauscht, aber noch immer wandert die Japanerin voller Verwunderung und Bewunderung durch diese Welt, blickt auf die Bäume, die Tiere, entdeckt Details, die uns verborgen blieben.
Das geht mit einem zweiten Thema einher, welches Kawase am Herzen liegt: eine Sinnlichkeit, die über pure Sinneswahrnehmung hinausgeht. Schon im letztjährigen Radiance setzte sie ein inneres und ein äußeres Sehen in Kontrast. Das greift sie in Die Blüte des Einklangs wieder auf, in Form von Aki, der blinden Kräuterexpertin, die nichts sehen und doch alles sehen kann. Aber auch Jeanne wird sich darauf einlassen, in der Welt mehr wahrzunehmen, mehr zu empfinden, mehr zu finden, als es der verschlossene Tomo tut. Der ist zwar da, werkelt auch kräftig in der Natur herum, wenn er Holz hackt und Tiere jagt. Aber er lebt nicht wirklich. Bis die Französin kommt.
Verloren im Wald der Gefühle
Was in der ersten Hälfte eine sehr schön anzusehende, betörende Mischung aus körperlicher und spiritueller Liebe ist, aus einer allumfassenden und zugleich zwischenmenschlichen, wird in der zweiten jedoch zunehmend inkohärenter. In ihrem Bestreben, eine größtmögliche Universalität zu erreichen, reißt Kawase Grenze um Grenze ein. Die Zeiten verschwimmen, bis wir nicht mehr genau sagen, ob wir gerade in der Gegenwart, der Vergangenheit oder der Zukunft sind, sofern es diese Unterscheidung überhaupt gibt. Und auch Figuren gehen ineinander über. „Du warst das also“, sagt Aki, als sie Jeanne das erste Mal begegnet, ohne dabei konkreter werden zu wollen. So wie Die Blüte des Einklangs allgemein alles vermeidet, was als klare Aussage durchgehen könnte. Oder nachvollziehbare Handlung.
Wie viel man dem abgewinnen kann, hängt letztendlich von der eigenen Offenheit für solche meditativen Grenzerfahrungen ab. Nachdem Kawase die letzten Male stärker fassbare Geschichten zu erzählen begann, allen voran in Kirschblüten und rote Bohnen, gibt sie dem Publikum hier gleichzeitig sehr wenig und sehr viel an die Hand. Ihr neuer Film hat zwar einige emotionalere Momente, ist aber doch eher diffuses Gefühl als handfestes Drama. Ein Film, der dazu einlädt, kräftig zu interpretieren oder auch sich treiben zu lassen, während wir durch ein schimmerndes Bäumemeer gleiten, in dem es überall etwas zu hören, zu sehen und zu erfühlen gibt. Ein Film, von dem aber dennoch wenig zurückbleibt, wenn der Nebel sich lichtet und wir wieder aus dem magischen Wald heraustreten.
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