Zwei Jahre ist Santi (Vincent Elbaz) nun schon tot, aber noch immer wird er wie ein Held von Kollegen und der Bevölkerung gefeiert. Auch seine Frau Yvonne (Adèle Haenel), die wie er bei der Polizei arbeitet, glaubte an die vielen tollen Geschichten, die man über ihren Mann erzählte. Bis sie eines Tages von einer hört, die alles andere als toll ist. Bestechlich soll Santi gewesen sein, ein Langfinger, der sich kein Stück für Gesetze interessierte – selbst der Ehering soll auf zwielichtige Weise erworben worden sein! Für Yvonne bricht eine Welt zusammen. Was soll sie nun ihrem Sohn erzählen? Und was wird aus Antoine (Pio Marmaï), der seinetwegen unschuldig ins Gefängnis wanderte und acht Jahre dort absaß?
Die Tür fliegt auf, ein Mann mit einem Schnauzer stürmt herein, schafft es auf abenteuerliche Weise sämtliche Verbrecher in der Wohnung zu überwältigen. Das ist nicht nur die herrlich übertriebene Einstiegsszene von Lieber Antoine als gar keinen Ärger, wenn Yvonne ihrem Sohn wie jeden Tag von einer Heldentat seines Papas erzählt. Es ist auch der Auftakt zu einem Running Gag, der sich durch den gesamten Film zieht: Analog zu den Erkenntnissen der jungen Witwe wird sich die rituelle Gutenachtgeschichte von Mal zu Mal ändern, weniger heldenhaft sein. Denn auch ihr eigenes Bild von dem Gatten hat sich gewandelt, was sich in ihrer Erzählkunst niederschlägt.
Ein turbulentes Liebeskarussell
Es ist nicht der einzige Witz, den Regisseur und Co-Autor Pierre Salvadori auf Lager hat. Vor allem in der zweiten Hälfte überschlagen sich die Ereignisse, die Begegnungen mit Antoine werden zunehmend irrsinniger. Zumal auch Amor kräftig mitmischt, wenn neben den beiden Protagonisten Antoines Frau (Audrey Tautou) und Yvonnes Kollege Louis (Damien Bonnard) hineingezogen werden. Vier Leute, deren Herzensangelegenheiten sich vermischen? Mit kleinen Einschüben vom Verstorbenen? Das kann ja heiter werden.
Der Film ist das aber nur zum Teil. Auch wenn er überall als Komödie bezeichnet wird, mit wechselnden Begleitattributen, und in Deutschland den schrecklich burlesken Titel Lieber Antoine als gar keinen Ärger erhalten soll, es ist nicht alles zum Lachen hier. Soll es auch gar nicht sein. Wenn sich Yvonne damit auseinandersetzen muss, über Jahre hinweg eine Lüge gelebt zu haben, dann ist das der Auftakt zu einer zwar absurden, gleichzeitig aber auch schmerzhaften Selbstsuche. Wenn unser Leben eine Lüge war, wer bin dann ich?
Ein Leben nach der Zerstörung
Noch schlimmer hat es aber Antoine erwischt. Mehrere Jahre unschuldig im Knast hocken zu müssen, das geht nicht spurlos an dir vorüber. Und man könnte da meinen, der Film würde hier den Opferstatus des jungen Mannes zelebrieren – umso mehr, da Pio Marmaï (Der Wein und der Wind, Sehnsucht nach Paris) ohnehin immer so aussieht, als könne er keiner Fliege was zuleide tun. Umso überraschender ist sein ebenso mitreißender wie schockierender Auftritt als ein Mann, der so sehr zerbrochen wurde, dass er nicht nur kaum wiederzuerkennen ist, auch für sich selbst. Ein Mann, der völlig außerstande ist, in der Welt da draußen noch zu funktionieren.
Auch das wird humorvoll aufgearbeitet, vor allem eine späte Szene ist gleichermaßen grandios wie grotesk. Und doch ist Lieber Antoine als gar keinen Ärger, das während der Directors’ Fortnight in Cannes 2018 uraufgeführt wurde, mehr als schrille Unterhaltung. Bitter ist es, was hier aus den Figuren wird, wie fast alle zu Verlierern werden durch die Machenschaften des vermeintlichen Freundes und Helfers. Wie sich manches einfach nicht mehr rückgängig machen lässt, auch wenn man sich noch so viele Sterne am Himmel anschaut. Das soll nicht bedeuten, dass hier nicht auch Spaß zu haben ist. Den gibt es schon, wenngleich eher in der zweiten Hälfte, der Film lässt sich recht viel Zeit. Aber es ist ein Spaß, der gleichzeitig immer ein wenig weh tut. Der auch nachdenklicher ist, als man zunächst meinen darf, wenn – passend zum französischen Titel – Freiheit und Schuld hinterfragt werden, Opfer zu Tätern werden, Unschuldige zu Arschlöchern. Die sich ständig wandelnde Geschichte ein Ende schreibt, bei dem nicht klar ist, ob es nun happy oder traurig ist.
OT: „En liberté!“
IT: „The Trouble With You“
Regie: Pierre Salvadori
Drehbuch: Pierre Salvadori, Benjamin Charbit, Benoît Graffin
Musik: Camille Bazbaz
Kamera: Julien Poupard
Besetzung: Adèle Haenel, Pio Marmaï, Vincent Elbaz, Audrey Tautou, Damien Bonnard
Cannes 2018
Filmfest München 2018
Fünf Seen Filmfestival 2018
Französische Filmtage Tübingen-Stuttgart 2018
Filmfest Braunschweig 2018
exground 2018
Französische Filmtage Leipzig 2018
Französische Filmwoche Berlin 2018
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