Sandstern
© Camino Filmverleih

Sandstern

Sandstern
„Sandstern“ // Deutschland-Start: 29. November 2018 (Kino)

Als der 12-jährige Oktay (Roland Kagan Sommer) im Sommer 1980 zu seinen Eltern nach Deutschland geschickt wird, hält sich seine Begeisterung sehr in Grenzen. Was soll er denn da? Die Sprache kann er nicht, hat er doch bislang nur bei seiner Oma in der Türkei gelebt. Seine Mutter Fatma (Taies Farzan) und seinen Vater Sabri (Hilmi Sözer) kennt er kaum. Richtig toll ist das Leben in der Fremde dann auch nicht, zumal er an der Schule gemobbt wird, auch sein Lehrer hat ihn auf dem Kieker. Immerhin: Trost findet er bei der alten Nachbarin Anna (Katharina Thalbach) und einer italienischen Mitschülerin. Doch das ist nur der Anfang einer langjährigen Tortur …

Ah, und schon wieder ein Film über den seit Jahren allgegenwärtigen Zankapfel Immigration, könnte man meinen. Schön, Oktay stammt aus der Türkei, was trotz aller Probleme und fragwürdiger Entwicklungen nicht wirklich mit etwa Syrien zu vergleichen ist. Außerdem spielt Sandstern in den 1980ern, hat also nur wenig mit dem zu tun, was in den letzten Jahren so viele Länder vor eine innere Zerreißprobe gestellt hat – es zum Teil immer noch tut. Und doch drängt sich anfangs der Eindruck auf, dass anhand des jungen Immigranten Oktay aufgezeigt werden soll, was es heißt, in einem fremden Land zu sein, das einen nicht will.

Der kleine, alltägliche Rassismus
Denn man kann nicht unbedingt behaupten, dass der 12-Jährige allzu willkommen ist. Dass er von anderen Kindern verfolgt wird, ebenso seine italienische Freundin, verspottet und verprügelt, das mag man noch als die üblichen Grausamkeiten in dem Alter abtun. Da suchen sich die Rabauken irgendeinen Anlass, um andere zu schikanieren, das warum ist eher zweitrangig. Bedenklicher ist da schon der Lehrer, der Oktay noch einmal in die erste Klasse stecken will, mit den Worten „Du hier Deutsch lernen .“ Der auch sonst ganz gerne mal die Kinder in zwei Klassen aufteilt. „So machen wir das hier nicht“, schimpft er auf den Jungen, als der sich gegen die Bullys zur Wehr setzt, es wagt, eben nicht nur Fußabtreter zu sein.

Daraus hätte man durchaus ein kleines Rassismusdrama made in Germany machen können. Regisseur und Drehbuchautor Yilmaz Arslan hatte aber offensichtlich andere Pläne. Welche genau das sein sollen, das erschließt sich jedoch nicht wirklich. Die alltäglichen Szenen werden immer wieder von komischen Momenten zur Seite geschubst, wenn Sandstern eher an eine Farce à la Die Migrantigen erinnert. Und selbst wenn der Film ernst sein will, vergreift sich des Öfteren im Ton. Als wäre es eben nicht genug, dass Oktay mit seiner Familie und seiner neuen Heimat hadert, kommen unentwegt neue Themen, neue Probleme auf den Tisch. Die kaputte Ehe seiner Eltern, Seitensprünge, eine bislang unerkannte Krankheit, Kriminalität, selbst der Tod schaut irgendwann mal vorbei. Eingeladen ist hier alles und jeder, der Scherereien bereiten kann, egal ob das nun gerade passt oder nicht.

Auf der Suche nach Menschlichkeit
Dieser Hang zur Übertreibung wird den Beitrag der Hofer Filmtage 2018 auch später noch verfolgen, wenn die zweite Hälfte ein neues Umfeld einführt, das auf seine Weise nicht minder kaputt ist als das erste. Genauer darf Oktay ein bisschen das deutsche Pflegesystem kennenlernen. Hier drängen sich dann die Vergleiche zu Lieber Leben auf, das ebenfalls in einer Einrichtung spielte. Ein Vergleich, bei dem Sandstern jedoch eindeutig den Kürzeren zieht. Nicht nur, dass die Geschichten beim französischen Kollegen deutlich lebensnaher waren. Sie wurden auch sehr viel überzeugender gespielt: Das Drama leidet schon sehr darunter, dass hier zu viele Leute ganz offensichtlich das erste Mal vor der Kamera standen und eine etwas kuriose Auffassung davon haben, wie Menschen sich im Leben so verhalten. Während Veteranin Thalbach die Balance zwischen Spleen und Herz noch hinbekommt, wissen zu viele hier offensichtlich nicht, was sie tun sollen.

Und doch ist diese zweite Hälfte die eindeutig bessere. Sandstern wird hier ruhiger, fokussierter, gibt Oktay einmal ein wenig Raum zur Entfaltung, anstatt immer nur auf Ereignisse von außen reagieren zu müssen. Die Coming-of-Age-Elemente, die Arslan zuvor immer wieder eingestreut hat, dürfen nun konsequenter verfolgt werden. Und irgendwie ist es ja auch schon sympathisch, wenn Arslan einen Jungen vorstellt, der über viele Jahre Hindernisse überwinden muss, um sich am Ende selbst zu finden. Anzukommen. Das Mitgefühl ist ihm ohnehin von Anfang an sicher, der Film ist ein warmherziges Plädoyer für mehr Menschlichkeit. Schöner wäre es nur gewesen, wenn dies in einem natürlicheren Rahmen hätte stattfinden können, man tatsächlich das Gefühl hätte, einem Leben zuzuschauen und nicht einer Ansammlung von gut gemeinten, aber kaum ausgearbeiteten Ideen.



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In „Sandstern“ folgen wir einem 12-jährigen Jungen, der aus der Türkei nach Deutschland zieht und dort an seiner Familie und der Gesellschaft verzweifelt. Das ist insgesamt ein sympathischer Film über Selbstfindung und ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit, der sich aber zu oft selbst im Weg steht. Vor allem die vielen übertriebenen Elemente und die teils nur wenig überzeugenden Darsteller führen dazu, dass die Geschichte nie natürlich und lebensnah genug wirkt.
5
von 10