Enttäuscht sind die Angestellten eine Fabrik in Agen, sogar regelrecht empört. Jahrelang haben sie für ihren Konzern auf eine Lohnerhöhung verzichtet, im Ausgleich für das Versprechen, den Standort mindestens fünf Jahre zu halten. Nun sind erst zwei Jahre vergangen, und doch heißt es, dass die Fabrik geschlossen wird. Für die 1.100 Arbeiter ist das eine Katastrophe, denn in der strukturschwachen Gegend Frankreichs sind Jobs Mangelware. Ihr Schicksal einfach so hinzunehmen, kommt daher für die Männer und Frauen nicht in Frage: Unter Führung des Gewerkschafters Laurent Amédéo (Vincent Lindon) formiert sich großer Widerstand, der erst zu Streik, später zu anderen Maßnahmen führt. Die Forderung: Die deutsche Führung des Konzerns soll nach Agen kommen und direkt mit den Betroffenen verhandeln. Doch die weigert sich beharrlich. Und je länger der Ausnahmezustand anhält, umso größer werden die Risse in der Front der Arbeiter.
Ein kleines Déjà-vu-Erlebnis ist es ja schon: Drei Jahre nach seinem hochgelobten Der Wert des Menschen meldete sich Stéphane Brizé erneut mit einem Sozialdrama in Cannes zurück, in dem Vincent Lindon die Hauptrolle spielt. Wieder geht es um die Kämpfe des kleinen Mannes, der im Getriebe der Wirtschaft zermalmt wird. Auch 2018 werden Fragen zur Moral gestellt, dazu wie wir heute mit anderen Menschen umgehen. Vor allem dazu, welchen Wert der einzelne heute noch hat. Ob es in einer von Wirtschaftlichkeit und Effizienz verfolgten Gesellschaft überhaupt noch Platz gibt.
Von Helden und Schurken
Dieses Mal halten sich die Zwischentöne und moralischen Vorbehalte jedoch in Grenzen. Es gibt sie natürlich, die Streikbrecher und Arbeiter, die hinter dem Rücken der anderen um Abfindungen feilschen. Teils weil sie ohne große Hoffnung sind, teils aus Egoismus, teils aus Notwendigkeit. Brizé ist an der Stelle jedoch an keiner größeren Differenzierung interessiert. Die Helden, das sind Laurent und sein Team, die sich von niemandem unterdrücken lassen, die selbst mit dem Rücken zu Wand nicht klein beigeben. Aufrechte Männer und Frauen, die den Wert von Solidarität noch leben und von anderen einfordern. Viel mehr als das erfahren wir über sie gar nicht.
Und auch auf Unternehmensseite beschränkt sich Streik auf Schwarzweißzeichnungen. Ob es nun die Leiter der örtlichen Fabriken sind, vermittelnde Personalchefs oder die oberste Regie, die nach viel Druck doch noch ins Geschehen eingreift: Sie wedeln mit Schecks, werfen mit Floskeln um sich, die schön klingen, aber nicht viel sagen. Die Frage, ob die Schließung des Werks nicht vielleicht gerechtfertigt sein könnte, die lässt Brizé erst gar nicht zu. Zu eindeutig profitgerichtet ist die Gegenseite, Sklaven von Aktionären, die zugunsten einer höheren Wachstumskurve alles und jeden bereit sind zu opfern.
Empörung ausdrücklich erlaubt
Streik ist damit ein klassischer Aufregerfilm, der an das Empörungsvermögen des Publikums appelliert. An Menschen, die es eben nicht in Ordnung finden, wenn Arbeitsplätze ins billige Ausland verlegt werden, damit die Reichen noch ein bisschen mehr Kohle in den Taschen haben. Der Rest soll sehen, wo er bleibt. Und das Drama verfehlt seine Wirkung nicht: Eben weil die Situation so eindeutig ist, drückt man den wehrhaften Verlierern alle Daumen, die man finden kann, hofft an ihrer Seite auf das Wunder, dass am Ende die Fabrik vielleicht doch noch bleiben kann.
Zumal es Brizé bei aller Vereinfachung und Einseitigkeit schafft, seinen Film sehr glaubwürdig zu gestalten. Wer Lindon nicht kennt, könnte angesichts der schmucklosen Bilder und der sehr sparsamen musikalischen Gestaltung sogar denken, es hier mit einem Dokumentarfilm zu tun zu haben. Und so manch einer wird mit dem Beginn der Credits auf die üblichen Texttafeln warten, die verraten: Die gerade gezeigte Geschichte ist wirklich so passiert. Dass dies nicht geschieht, schmälert den Eindruck nicht, hier einen Vorfall mitangesehen zu haben, von dem er derzeit überall geschehen kann und der einem auch deshalb so nahe geht.
(Anzeige)