Für Frank (Olivier Gourmet) teilt sich die Welt in zwei Gruppen von Menschen, wie er seinem Sohn erklärt. Diejenigen, die hart arbeiten, und diejenigen, die das eben nicht tun. Dass er nur wenig später selbst zu der zweiten Gruppe gehören soll, das kann er in dem Moment natürlich nicht ahnen. Aber der gesamte Vorfall lief ja nicht wie geplant. Als hätten die Containerschiffe, die seiner Verantwortung unterstehen, nicht ohnehin schon genug Verspätung, wird dort auch noch ein blinder Passagier entdeckt. Franks Versuche, das Problem zu lösen, werden von seinen Chefs aber nur wenig geschätzt. Stattdessen setzen sie ihn einfach vor die Tür. Unfähig, mit der Situation umzugehen, verheimlicht er seiner Familie den Vorfall und muss die Frage beantworten: Und was nun?
Das französischsprachige Kino hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Filmen hervorgebracht, die sich auf sehr sehenswerte – und meist bittere – Weise mit der heutigen Arbeitslandschaft auseinandersetzen. Vor allem die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne (Zwei Tage, eine Nacht) und Stéphane Brizé (Der Wert des Menschen, Streik) fanden mit ihren Werken weltweit Beachtung, erzählten darin von einer Welt, in der jeder zunehmend nur noch an sich selbst denkt. Wo der einzelne, der andere, letztendlich nichts mehr zählt.
Spannender Seitenwechsel
Antoine Russbach dürften hierbei nur wenige auf der Rechnung haben. Dabei hat auch der Schweizer Filmemacher jede Menge zu dem Thema zu sagen, wie sein Beitrag Those Who Work zeigt. Ungewöhnlich bei dem Drama ist, dass hier mal nicht der kleine Mann bzw. die kleine Frau im Mittelpunkt stehen. Russbach erzählt nicht von den Menschen, die in einer vom Globalismus diktierten Welt an den Rand geschoben wurden. Frank selbst ist nicht minder skrupellos. Wenn es um Profite geht, darum die wirtschaftlichen Ziele durchzudrücken, dann geht der Workaholic schon einmal über Leichen – wortwörtlich.
Ein Sozialdrama, das sich um einen Antagonisten dreht? In dem es keinen wirklichen Helden gibt, der sich für das Gute einsetzt? Kann das gut gehen? Nein, sympathisch ist Frank nicht. Anders als so mancher Film, der von grimmigen, älteren Männern erzählt, hat er auch kein wirkliches Interesse daran, geläutert zu werden. Wäre er noch einmal in derselben Situation, er würde dieselbe Entscheidung fällen. Dass er lange braucht, mehrere Monate sogar, nur um seiner Familie zu sagen, dass er arbeitslos ist, zeigt, dass man von ihm nicht unbedingt größere Verhaltensänderungen erwarten kann.
Wo und wie fängt das System an?
Doch das macht Those Who Work, das beim Locarno Festival 2018 Premiere feierte, auch so spannend. Anstatt die Menschen zu zeigen, die unter einem System zu leiden haben, rückt Russbach jemanden in den Mittelpunkt, der selbst Teil des Systems ist. Dabei beschäftigt er sich mit der Frage, wie es überhaupt dazu kommen kann und was jemanden antreibt, um sich derart brutal nach oben zu kämpfen. Der Film lässt sich dafür recht viel Zeit, beschäftigt sich erst einmal ausführlich damit, was Frank nach seinem Rauswurf so treibt. Erst gegen Ende hin lässt er durchschimmern, wie der 50-Jährige zu dem wurde, der er heute ist.
Das ist nicht ganz einfach als Film, umso mehr, da das Tempo ziemlich gering ist und die Geschichte über längere Strecke gern mal ein wenig auf der Stelle tritt. Aber der Perspektivenwechsel lohnt sich, gerade auch wenn das zunächst einseitige Feindbild – unterstützt von einem durchgängig grimmig schauenden Olivier Gourmet (Ein königlicher Tausch, Stromaufwärts) – nach und nach komplexer und nuancierter wird. Ist die Welt, wie sie ist, weil zu viele Menschen böse sind? Oder sind sie durch die Welt erst böse geworden? Einen Ausbruch daraus wird es so oder so nur schwer geben: Those Who Work ist auch deshalb so schwer verdaulich, weil trotz vereinzelter Lichtblicke eine echte Besserung nicht in Sicht ist, es immer wieder heißt, alles zurück auf Anfang. Alles zurück zu der Frage: Wer arbeitet und wer nicht.
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