Black Mirror Bandersnatch Netflix
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Black Mirror: Bandersnatch

Black Mirror Bandersnatch Netflix
„Black Mirror: Bandersnatch“ // Deutschland-Start: 28. Dezember 2018 (Netflix)

Stefan Butler (Fionn Whitehead) kann sein Glück kaum fassen: Schon länger hat der junge Programmierer privat daran gearbeitet, den Fantasyroman „Bandersnatch“ als Videospiel umzusetzen. Und nun soll es tatsächlich veröffentlicht werden. Nicht irgendwo, sondern bei dem renommierten Publisher Tuckersoft, wo auch sein großes Idol Colin Ritman (Will Poulter) arbeitet. Die anfängliche Euphorie verfliegt jedoch relativ schnell, als Stefan erkennen muss, wie schwierig diese Umsetzung sein wird – und wie groß der Druck des Unternehmens ist. Außerdem stößt er bei der Arbeit auf eine Reihe von Ungereimtheiten, die ihn daran zweifeln lassen, wer er ist und was er da genau tut.

Dass sich Netflix dann und wann in Geheimniskrämerei übt, das ist hinlänglich bekannt. Von undurchschaubaren Algorithmen über die verwirrende Veröffentlichungspolitik bis zu ominösen Aussagen zu Zuschauerzahlen, der Streaminganbieter ist in vielerlei Hinsicht ein milliardenschweres Fragezeichen. Da passt Black Mirror: Bandersnatch natürlich wunderbar ins Programm. Nicht nur, dass das Special zur britischen Science-Fiction-Serie vor einigen Tagen aus dem Nichts angekündigt wurde, auch der Inhalt spielt sehr viel mit klassischem Mystery-Material.

Sei dein eigener Held
Die Umsetzung ist jedoch sehr viel weniger klassisch. Anstatt einen regulären Film zu drehen, entwickelte Black Mirror Mastermind Charlie Brooker ein interaktives Werk, das sich an den in den 80er Jahren so populären Spielbüchern orientiert – nicht ohne Grund spielt die Geschichte im Jahr 1984. In diesen Büchern konnte der Leser sich an vielen Stellen dafür entscheiden, was der Held als nächstes macht. Auf diese Weise verzweigt sich die Handlung, führt zu zahlreichen sehr unterschiedlichen Enden. Die meisten davon waren Sackgassen, wenn wir unwissentlich den Protagonisten in den Tod geschickt haben.

Bandersnatch, dessen Titel einem mythischen Wesen aus Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln entnommen wurde, übernimmt nun dieses Prinzip von damals und überträgt es auf das Medium Film. Im Klartext bedeutet das, dass die Zuschauer regelmäßig mithilfe der Fernbedienung oder auch der Maus ins Geschehen eingreifen und Stefans weiteren Weg bestimmen. Das können ganz banale Entscheidungen sein, etwa die Wahl des Frühstücks. Später geht es aber auch richtig ans Eingemachte: Die Geschichte nimmt je nach Pfad einen völlig unterschiedlichen Verlauf, deckt von absurd-komisch über todtraurig bis zu unheimlich alles ab. Am ehesten passt jedoch noch die Beschreibung Mystery-Thriller.

Wer bin ich?
Die Geschichte selbst ist dabei relativ dünn, bietet nichts, was man nicht schon in anderen Paranoia-Werken mitbekommen hat. Für viele dürfte der Eingriff ins Geschehen auch nicht mehr als ein Gimmick sein, das Freiheit vortäuscht, letztendlich aber zu einem zwangsweise ausgefransten Inhalt führt. Und doch ist es gerade die Kombination aus Interaktivität und Geschichte, welche den Reiz von Bandersnatch ausmacht. Denn hier geht beides auf eine mal sehr direkte, mal auch recht clevere Weise Hand in Hand, inklusive zahlreicher Meta-Spielereien. Die Frage des Films: Haben wir eigentlich einen freien Willen? Bestimmen wir wirklich das, was in unserem Leben geschieht? Oder sind wir ausgeliefert, anderen Mächten, dem Zufall, unserer vorgeschriebenen Persönlichkeit?

So richtig tief sind die Denkanstöße nicht. Das Bedürfnis, sich Bandersnatch ein zweites Mal anzuschauen, dürfte auch eher überschaubar sein. Dafür ist die Benutzeroberfläche dann doch zu eingeschränkt. Noch einmal viele Szenen des Films nachzuspielen, um wieder zu den relevanten Abzweigungen zu kommen, das zehrt schon an Nerven und Geduld. Zumal man schon beim ersten Durchlauf vieles zu Gesicht bekommt: Manche kamen schon nach 40 Minuten zu einem Ende, andere sollten sich auf spielfilmübliche 90-120 Minuten einstellen. Als einmaliges Experiment, gerade auch während der Wartezeit auf die fünfte Staffel von Black Mirror, eignet sich das hier aber auf alle Fälle, gerade auch für ein etwas älteres, nostalgieerfahrenes Publikum. Aber auch wer mit dem 80er Jahre Setting oder den damaligen Unterhaltungsangeboten nicht viel anfangen kann, darf sich an der tollen Besetzung erfreuen: Fionn Whitehead (Kindeswohl) ist wunderbar als junger Mann, dessen großer Traum immer dunkler und surrealer wird. Aber auch Will Poulter (Detroit) als seltsamer Programmierer und Alice Lowe (Sightseers) in der Rolle der Psychotherapeutin machen jede Menge Spaß. Und natürlich auch Lust auf weitere Versuche, die Möglichkeiten des interaktiven Fernsehens zu erforschen.



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Für die einen ist es ein inhaltlich dünnes Gimmick, für die anderen eine mögliche Zukunft der Unterhaltungsindustrie: „Black Mirror: Bandersnatch“ kombiniert klassische Mystery-Paranoia-Thriller-Themen mit interaktiven Elementen zu einem spannenden Experiment über den freien Willen. Das ist nicht so tiefgründig, wie es manchmal tut, aber doch immer mal wieder clever, reicht von komisch über traurig bis zu unheimlich.
7
von 10