Der Junge muss an die frische Luft
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Der Junge muss an die frische Luft

Der Junge muss an die frische Luft
„Der Junge muss an die frische Luft“ // Deutschland-Start: 25. Dezember 2018 (Kino)

Sportlich ist der neunjährige Hans-Peter (Julius Weckauf) nicht gerade. Dafür schafft er es aber, sein Umfeld ständig zu erheitern, vor allem auch mit seinen Imitationen. Dabei ist der Familie eigentlich so gar nicht zum Lachen zumute. Denn nachdem seine Mutter Margret (Luise Heyer) in Folge einer Operation ihren Geruchs- und Geschmackssinn verliert, stürzt sie immer tiefer in eine Depression. Sein Vater Heinz (Sönke Möhring) ist gegen diese Entwicklung machtlos, zumal er auch oft beruflich unterwegs ist. Und auch die zahlreichen Verwandten schaffen es nicht, Margret Halt zu geben – was für Hans-Peter ein Grund mehr ist, seinen komödiantischen Neigungen nachzugehen.

Wenn Stars und Berühmtheiten ihre Memoiren veröffentlichen, dann geht es meistens darum, noch einmal von der bestehenden Beliebtheit zu profitieren. Hape Kerkeling ist einer der wenigen, der es schaffte, eben durch diese Memoiren irgendwie noch beliebter zu werden. Erst wurde er durch seine Erzählungen zum Jakobsweg (Ich bin dann mal weg) zu einem Phänomen, schuf eines der erfolgreichsten deutschen Sachbücher der letzten Jahrzehnte. Und auch Der Junge muss an die frische Luft, mit dem er Einblicke in seine Kindheit gewährte, wurde zu einem Bestseller.

Nimm’s mit Humor
Kein Wunder also, dass das Buch nun in einer Filmfassung vorliegt, schließlich war schon die vorangegangene Adaption Ich bin dann mal weg ein absoluter Kassenschlager. Und vergleichbar sind die beiden Filme ja durchaus. Beide mischen Humor mit tragischen Elementen, lassen inmitten des Chaos schon einmal die Gedanken schweifen und Sinn im Unsinn suchen. Und Chaos gibt es hier mehr als genug, gerade auch für das Publikum: Von Anfang an wuseln unzählige Verwandte und Bekannte durch das Bild, von denen man nur im begrenzten Maße erkennt, wer denn nun wer ist und in welcher Beziehung die zueinander stehen.

Dabei ist Der Junge muss an die frische Luft eine einzige Liebeserklärung an die Familie. Denn je mehr die Kerkelings auseinanderbrachen als Folge von Margrets Depressionen, umso stärker sprangen all die anderen bei. Großeltern, Tanten und Onkel, so ziemlich jeder, der irgendwie dazu gehörte, versuchte seinen Teil dazu beizutragen, um das große Unglück zu verhindern. Dass es dennoch eintraf, macht die Geschichte von Kerkeling umso tragischer, umso berührender. Und umso wichtiger: Völlig unabhängig davon, dass wir hier einem kommenden Star über die Schulter schauen, geht das Biopic mit einer bemerkenswerten Offenheit mit dem Thema Depression um. Zeigt, wie ein Mensch mit der Zeit in sich selbst verschwinden kann.

Jugendlicher Übermut und mütterliche Leere
Das ist sehr bewegend durch Luise Heyer (Jack, Detour) dargestellt, die im Laufe des Films von einer fürsorglichen Mutter zu einer leeren Hülle zusammenschrumpft. Der Rest des Ensembles füllt die Figuren hingegen mit der notwendigen Wärme, um dieser Eiseskälte etwas entgegenhalten zu können. Sie schaffen es aber auch, Kerkelings Beschreibungen zu echten Charakteren zu machen, die nur selten in leichte Karikatur-Bereiche abtauchen. Und dann wäre da noch Julius Weckauf, der hier seine erste Rolle spielt und sich als junger Hape auf Anhieb für Größeres empfiehlt: Wie er sich lustvoll zum Clown macht, teils aus eigenem Antrieb, teils als bloße Reaktion, das ist schon sehr sehenswert.

Das gilt übrigens auch für die Ausstattung, die bestes 70er-Jahre-Gefühl mit dem Publikum teilt, dazu auch ein paar Nadelstiche gegen die damalige Gesellschaft setzt. An manchen Stellen ist der Film etwas zu sehr darum bemüht, komisch zu sein, verlässt sich dann nicht mehr auf die eigentlichen Figuren und ihre Erlebnisse. Ist dann noch nicht einmal wirklich komisch. Diese Stellen sind glücklicherweise aber die Minderheit. Ansonsten ist Der Junge muss an die frische Luft ein sehr persönlicher Film darüber, wie du von deinem Umfeld und deinen Wurzeln geprägt wirst, positiv wie negativ. Und natürlich ist die Geschichte eine des persönlichen Triumphes, wenn Kerkeling hier lernt, mit Hilfe der Kunst vermeintliche Schwächen in Stärken zu verwandeln. Ein inspirierender Feel-Good-Movie sozusagen, der gleichzeitig nicht vor den Abgründen zurückschreckt.



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Auch große Komiker fangen mal klein an: Basierend auf der gleichnamigen Autobiografie gibt uns „Der Junge muss an die frische Luft“ Einblicke in die erstaunlich bittere Kindheit von Hape Kerkeling. Trotz der ungeschönten Darstellung einer auseinanderbrechenden Familie, ist der Film selbst aber sehr schön geworden, ist gleichzeitig Plädoyer für familiären Zusammenhalt und die Kraft der Kunst.
7
von 10