Der Spitzenkandidat Front Runner
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Der Spitzenkandidat

Der Spitzenkandidat Front Runner
„Der Spitzenkandidat“ // Deutschland-Start: 17. Januar 2018 (Kino) // 29. Mai 2019 (DVD/Blu-ray)

Zwar sind die Primaries noch voll im Gange, bis zur Präsidentschaftswahl ist es eine Weile hin. Doch für die Demokraten steht schon früh fest, wer sie 1988 vertreten soll: Gary Hart (Hugh Jackman), der Senator von Colorado. Er ist charismatisch, redegewandt und doch auch bodenständig genug, um selbst bei der ländlichen Bevölkerung punkten zu können. Doch dann tauchen Gerüchte auf, dass er eine Affäre mit Donna Rice (Sara Paxton) hat. Während sich die Presse auf das Thema stürzt, versucht Hart stoisch die Geschichte auszusitzen – zum großen Ärger seines Wahlkampfmanagers Bill Dixon (J.K. Simmons). Damit eskaliert die Situation jedoch nur noch weiter, für Harts politische Ansichten interessiert sich bald schon keiner mehr.

Man weiß ja manchmal nicht, ob man sich nur wundern, darüber lachen oder entsetzt sein soll, welcher Rummel in den USA oft um Politiker gemacht wird. Zugegeben, hierzulande haben wir weder so schrille Persönlichkeiten wie Donald Trump oder Sarah Palin, auch vergleichbar charismatische Phänomene wie Barack Obama sind uns fremd. In Deutschland ist Politik in erster Linie ein Beruf. Wer die Menschen sind, die unser Land da leiten, das wissen wir oft nicht, interessiert uns auch nicht besonders. Hauptsache, die da oben machen ihre Arbeit vernünftig. Der Rest geht uns nichts an.

Warum interessiert euch das?
Dabei muss das in den USA früher ähnlich pragmatisch gewesen sein, so zumindest wird in Der Spitzenkandidat nahegelegt. Die Idee, dass ein Politiker für eine rein private Geschichte an den Pranger gestellt wird, die erscheint hier noch völlig absurd – weshalb Hart sich auch bis zuletzt dagegen sträubt, das Thema überhaupt aufzugreifen. Dass dem Demokraten eine noch nicht einmal wirklich bewiesene Affäre derart zum Verhängnis werden kann, das wird hier dann auch als eine Art Wendepunkt dargestellt. Spannend ist das durchaus, selbst für diejenigen, die von dieser Anekdote der US-Politik bislang nichts wussten. Was in Deutschland nahezu jeder sein dürfte.

So ganz nachzuvollziehen ist die Problematik des Films jedoch kaum. Nicht nur, dass Bill Clintons Affäre einige Jahre später ohne nennenswerte Folgen blieb, in Zeiten eines Donald Trumps, der geradezu stolz auf seine zahlreichen außerehelichen Aktivitäten ist, wirkt Der Spitzenkandidat wie ein Relikt vergangener Zeiten. Von dem öffentlichen Auftritt des obersten Verfassungsrichters Brett Kavanaugh ganz zu schweigen, dem nicht einmal Vergewaltigungsvorwürfe etwas anhaben konnten. Kommt das Drama da nicht einfach einige Jahre zu spät?

Die schwierige Frage der Moral
Die eher zurückhaltenden Reaktionen in den USA lassen zumindest darauf schließen. Nach der Premiere beim Telluride Film Festival 2018 waren die Kritiken eher gemischt, beim zahlenden Publikum fiel der Film sogar komplett durch. Und doch ist es für ein hiesiges Publikum eine gute Nachricht, dass Der Spitzenkandidat in die Kinos kommt. Da wäre die historische Komponente und der Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebes. Da wären auch die moralischen Fragen, die mit dem Thema zusammenhängen: Haben wir ein Recht, alles über unsere Politiker zu wissen? Müssen wir es wissen? Wo verläuft die Grenze zwischen dem, was relevant und was nicht relevant ist?

Regisseur und Co-Autor Jason Reitman (Up In The Air, Tully) vermeidet es, darauf eine Antwort geben zu wollen, lässt das Publikum darüber entscheiden, ob der Medienrummel gerechtfertigt war oder nicht. Aber selbst, wer kein wirkliches Interesse an solchen Grundsatzfragen hat, findet hier einiges, das sehenswert ist. Die Besetzung ist überaus prominent, Hugh Jackman (Greatest Showman) verkörpert Hart als eine erstaunlich ambivalente Figur, Vera Farmiga (Conjuring – Die Heimsuchung) gibt die leidende Ehefrau, deren Leben ohne Eigenverschulden zerstört wird. Zudem fängt Der Spitzenkandidat schön die Stimmung der 1980er ein, was den Film dadurch auch zu einem stimmigen Zeitdokument macht.



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Die Erwartungen waren groß, der Sturz anschließend umso heftiger: „Der Spitzenkandidat“ erzählt die wahre Geschichte eines anvisierten Präsidentschaftskandidaten, der über eine angebliche Affäre stolpert. Das wirkt heute seltsam fern, auch wenn das Drama versucht, den Vorfall als Wendepunkt mit Langzeitfolgen zu etablieren. Die moralische und historische Komponente ist dafür bis heute interessant.
7
von 10