Das Leben meint es nicht gut mit Ratna (Tillotama Shome). Gerade einmal 19 Jahre ist sie, als ihr Mann verstirbt. Da sie aus einer armen Familie stammt, nie wirklich Geld besessen hat, muss sie sich nun selbst darum kümmern, um über die Runden zu kommen. Dabei hat sie noch Glück im Unglück: Der aus den USA zurückgekehrte Ashwin (Vivek Gomber), bei dem sie als Dienstmädchen arbeitet, ist überaus freundlich und will ihr dabei sogar bei ihrem Traum helfen, Modedesignerin zu werden. Doch nach einiger Zeit müssen die zwei feststellen, dass sie mehr eint als nur eine Arbeitsbeziehung.
Viel braucht die indische Regisseurin und Drehbuchautorin Rohena Gera nicht, um ihre Figuren dem Publikum vorzustellen. Sie braucht vor allem keine Worte. Ratna wird früh als Frau gezeigt, die es gelernt hat sich unterzuordnen. Weil sie aus einer niedrigen Gesellschaftsschicht stammt. Weil sie eine Frau ist. Ashwin hingegen ist das egal. Er war in den USA, hat es dort zwar nicht zum Schriftsteller geschafft, aber doch jede Menge Erfahrungen mitgenommen. Und auch westliche Wertvorstellungen. Er nimmt Sachen gern selbst in die Hand, hält nichts von arrangierten Ehen oder den Erwartungen, die an einen Mann der indischen Oberschichte gestellt werden.
Ein Spiel der Kontraste
Gera zeigt damit nicht nur einen starken Kontrast auf, zwischen Mann und Frau, Ost und West, Tradition und Moderne. Sie legt damit auch den Grundstein für ein romantisches Drama, das sich mit der Situation in ihrem Heimatland auseinandersetzt. Dieses ist ja in erster Linie für die farbenfrohen Musicalausflüge des Bollywoods bekannt, schwelgerische Schmonzetten, in denen alle Menschen gut aussehen und am Ende das bekommen, was sie verdienen. Die große Liebe.
Die Schneiderin der Träume ist trotz des romantischen deutschen Titels damit aber kaum zu vergleichen. Zwar tragen auch hier die Damen gerne mal feuerorangefarbene Kleidung, wird von einem besseren Leben geträumt. Und natürlich bringt die Geschichte alles mit für eine moderne Cinderella-Geschichte. Aber es bleiben eben Träume. Das Drama, welches bei der International Critics’ Week der Filmfestspiele von Cannes 2018 Premiere feierte, zeigt, wie noch immer das alte Kastendenken die Menschen bestimmt. Wie schwierig es ist, aus diesem auszubrechen, überlieferte Rollenmuster und Traditionen hinter sich zu lassen.
Zwischen den Zeilen lesen
Teilweise ist das schön bebildert, wenn Die Schneiderin der Träume die Wohnung von Ashwin verwendet, um die Distanz zwischen beiden aufzuzeigen. Und man muss es dem Drama auch hoch anrechnen, dass es sich eben nicht mit den Kitschfantastereien sonstiger Klassen-Romanzen abgibt – siehe etwa die unsäglichen A Christmas Prince oder Prinzessinnentausch. Gera zeigt keinen Ausweg aus der Misere, keine romantische Selbstbelügung mit viel Taschentuchverbrauch und lauten Seufzern. Denn laut wird der Film praktisch nie. Oder auch explizit: Nur selten werden Themen direkt angesprochen, der Rest erschließt sich aus dem Kontext.
Während der Film so oft durch die Detailarbeit gefällt, sind andere Stellen umso gröber gestaltet. Ashwin beispielsweise mangelt es über weite Strecken an Kontur. Nur am Anfang, wenn das vorzeitige Ende seiner geplanten Ehe im Mittelpunkt steht, darf er ein wenig etwas von sich zeigen. Und gegen Ende, wenn die Gefühle zu Ratna thematisiert werden, darf er zumindest seine Ansicht teilen. Ansonsten besteht seine Aufgabe im Film nur darin, immer wieder an den Kühlschrank zu gehen und das personifizierte Gute zu sein, der seiner Angestellten jeden Wunsch erfüllen würde. Auch drumherum belässt es Die Schneiderin der Träume ganz gerne mal bei Klischees, die dem Drama die persönliche Note zwar nicht ganz rauben, diese aber doch unnötig schmälern. Bonuspunkte gibt es jedoch dafür, dass Ratna eben kein Prinzesschen sein muss, sondern nach dem Überwinden ihrer Unsicherheit zeigt, dass Frauen auch ohne Männer funktionieren können.
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