Der Schädel lang gezogen, das Gesichts ausdruckslos, dazu Narben, die von den Operationen zeugen, vielleicht auch die eine oder andere Schraube, die herausragt – so kennen wir Frankenstein. Genauer kennen wir so Frankensteins Monster, das inzwischen oft synonym mit seinem Schöpfer genannt wird. Und wir kennen ihn schon lange, sehr lange. 200 Jahre ist es mittlerweile her, dass der Roman Frankenstein oder Der moderne Prometheus erschien, der Mary Shelley einen festen Platz in der Literaturgeschichte einbrachte. Wenn auch einen verspäteten Platz: Als das Werk 1818 veröffentlicht wurde, geschah dies noch anonym. Frauen, die Bücher schreiben? Das war damals eine Seltenheit. Vor allem nicht solche Bücher. Dabei war ihr das eigentlich in die Wiege gelegt, sowohl ihr Vater William Goldwin wie auch ihre Mutter Mary Wollstonecraft schrieben. Wollstonecraft war mit ihren Schriften sogar eine Vorreiterin des modernen Feminismus.
Zwischen Wissenschaft und Moral
In Shelleys Buch gab es für Frauen hingegen keinen wirklichen Platz. Stattdessen schilderte die Engländerin darin in einer Mischung aus Erzählung und Briefroman, wie der Wissenschaftler Victor Frankenstein den ersten künstlichen Menschen schuf, das bis heute namenlose Wesen. Dieses war von Anfang an ein gefährliches und entfesseltes Monster, das vielen den Tod brachte, weshalb es in Filmen oft eine Schurkenfunktion übernahm. Und doch war es eben auch eine tragische Gestalt, das von ihrem eigenen Schöpfer verstoßen wurde, dazu verdammt war, einsam und allein durch eine Welt zu streifen, die es nicht haben wollte. Shelley griff bei ihrem Buch daher nicht nur auf bereits bestehende Tendenzen und Versuche zurück, tote Materie wieder zum Leben zu erwecken. Sie stellte sich und dem Publikum zudem die Frage, ob der Mensch überhaupt das Recht hat, in dieser Form einzugreifen und Gott zu spielen.
Dieser Aspekt ist es auch, der Frankenstein bis heute zu einem relevanten Stoff macht. Denn in den vergangenen 200 Jahren haben sich die medizinischen Möglichkeiten derart stark gewandelt und erweitert, dass immer häufiger moralische Überlegungen eine Rolle spielen. Von der Verpflanzung fremder Organe über lebenserhaltende Maßnahmen bis zum direkten Eingriff in die DNA des Menschen, jeder neue Schritt bedeutete auch Selbstreflexion: Dürfen wir das eigentlich? Wo sind die ethischen Grenzen? Gibt es die überhaupt? Gerade auch weil die Grenzen so fließend sind, ist das Buch eine ständige Mahnung an uns selbst, in der Euphorie der Möglichkeit die Verantwortung nicht zu vergessen.
Ein vielseitiges Monster
In Filmen spielte dieses Thema aber nur manchmal eine Rolle. Die Bandbreite der Interpretationen ist gewaltig, kaum eine literarische Figur wurde vergleichbar oft auf die Leinwand oder den Bildschirm geholt. Schon 1910 gab es eine erste Adaption, ein 14-minütiger Stummfilm. Zu einem Phänomen wurde das Monster aber erst 1931, als der große Horror-Regisseur James Whale sich des Themas annahm und mit Frankenstein einen großen Klassiker schuf. Gerade in den 1930ern/40ern folgte eine Schwemme an Fortsetzungen, die mit Shelleys Vision zwangsläufig nur noch den Namen gemeinsam hatte. Und heute ist sowieso alles anders: Immer häufiger ist Frankensteins Monster nur noch eine Figur unter vielen, siehe etwa Penny Dreadful oder Hotel Transsilvanien, die alles zusammenwerfen, was der Horrorbereich an nennenswerten Figuren so ausgespuckt hat. Werwölfe und Vampire, dazwischen vielleicht Hexen und der unsichtbare Mann – das einsame Monster hat seinen festen Platz im Schauerkabinett gefunden.
Aber auch an Solo-Auftritten versuchte man sich in den letzten Jahren immer wieder, meist mit bescheidenen Ergebnisse. Die diversen B-Movie-Ausflüge des Veteranen werden kaum beachtet, auch die Hollywood-Reboots I, Frankenstein und Victor Frankenstein – Genie und Wahnsinn fielen trotz namhafter Besetzung und eines beträchtlichen Budgets beim Publikum durch. Und ob die Neuauflage von Bride of Frankenstein wirklich noch das Tageslicht erblickt, ist nach dem kläglichen Auftakt des Dark Universe Unternehmens mehr als fraglich. Aber selbst wenn der zusammengeschusterte Kunstmensch heute vielleicht nicht mehr die Strahlkraft von einst hat, nicht mehr ganz so bedrohlich wirkt, aus der Popkultur ist er kaum mehr herauszudenken und hat damit nicht nur seine Schöpfer überlebt, sondern auch die vielen Menschen, die ihm im Laufe der letzten 200 Jahre Gesellschaft geleistet haben.
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