Roma
© Netflix

Roma

Roma
„Roma“ // Deutschland-Start: 14. Dezember 2018 (Netflix)

Bislang verlief das Leben von Cleo (Yalitza Aparicio) eigentlich in geregelten Bahnen. Schließlich hat sie einen guten Job als Kindermädchen bei dem Ehepaar Sofia (Marina de Tavira) und Antonio (Ernando Grediaga). Als dieses sich trennt, wird die Situation in der mexikanischen Mittelstandsfamilie jedoch deutlich komplizierter, da auch gerade die Kinder sehr darunter leiden. Die nächste Hiobsbotschaft erwartet die junge Frau, als sie schwanger wird und der Vater sich daraufhin gleich aus dem Staub macht. Und dann wird Mexiko-Stadt auch noch von einer Welle der Gewalt erschüttert …

Zuschauerzahlen sind wichtig, klar, vor allem für einen Streaminganbieter wie Netflix, der sich allein über Mitgliederzahlungen finanziert. Dass Kritikerstimmen Publikumslieblinge wie Bright oder A Christmas Prince nicht unbedingt mit Samthandschuhen anfassten, das nahm man in Kauf. Hauptsache, das Zeug wird von denen geschaut, die Geld bringen. Zumindest ein kleines Umdenken gab es aber zuletzt, zu der üblichen Massenware sollen jetzt auch verstärkt Toptitel veröffentlicht werden, die ein paar Filmpreise mit nach Hause bringen. Das war vor allem bei den Filmfestspielen von Venedig zu sehen, wo Netflix unter anderem mit The Other Side of the Wind und 22. Juli an den Start ging. Und eben auch mit Roma, der bei der künftigen Award Season ganz kräftig mitspielen dürfte.

Großes Kino für ein kleines Publikum
Tatsächlich ist das Drama um ein Kindermädchen in den 1970ern so ziemlich das Gegenteil von der gefälligen Seichtigkeit, die Netflix oft bei den eigenen Filmen verfolgt. Zunächst einmal wurde der Film nicht synchronisiert, in keine Sprache. Nicht einmal Englisch. Das gilt natürlich für so manchen Film, den es auf der Streamingplattform so gibt. Doch bei denen handelt es sich meist um Importe aus Fernost, die von vornherein kein großes Publikum anziehen. Wenn aber das neuste Werk von Oscar-Preisträger Alfonso Cuarón (Children Of Men, Gravity) ohne Synchronisation bleibt, dann kommt das schon einer Provokation nahe. Ist der Film zudem komplett in Schwarzweiß gehalten, dann steht erst recht der Verdacht im Raum, dass das reguläre Netflix-Klientel hier außen vor bleibt.

Vielen dürfte der Film selbst auch relativ wenig sagen. Roma erzählt weniger eine durchgängige Geschichte, hat auch nicht wirklich viel Handlung. Stattdessen bekommen wir einen Einblick in das Leben von Cleo wie auch der mexikanischen Mittelschicht Anfang der 1970er. Slice of Life, wenn man so möchte. Nur dass Cuarón dieses sehr persönliche Drama mit einem Zeitdokument verknüpft. Wenn sich das Leid von Sofia und Cleo vor dem Hintergrund der Unruhen abspielt, dann wird aus ihrem Schicksal gleichzeitig ein individuelles und universelles. Der biografisch gefärbte Film ist eine Huldigung an die zwei Frauen, die ihr Leben ohne Männer meistern müssen. Eine Huldigung an sein eigenes Kindermädchen, das ihn damals aufzog.

Das Leben hinter der Schürze
Roma gelingt es dabei auch wunderbar, die beiden Seiten von Cleo zu verdeutlichen. Die Frau, die sich tagsüber um die Kinder kümmert und zuweilen die Launen der Herrin ertragen muss. Die Frau, die in sich Gefühle und Bedürfnisse trägt, die eben nicht nur Smoothies bringt und Wäsche durch die Gegend trägt. Wobei sie beides natürlich nicht zu sehr mit der Außenwelt teilt. Roma bleibt gerne mal auf Distanz, lässt die innere Welt lieber durchschimmern, anstatt das Lampenlicht darauf zu richten. Cuarón ist ein Freund der Details, die es zu finden und zu verwerten gilt, nicht des großen Bildes.

Wobei die Bilder selbst durchaus groß sind. Groß und großartig. Ob die Opulenz der Aufnahmen angemessen ist für eine derart kleine und intime Geschichte, darüber kann man geteilter Meinung sein. Manch einer wird auch monieren, dass Roma in erster Linie visuelles Kunstwerk ist und das Narrative zu kurz kommt. Dabei sind es gerade die Bilder, die viel zu erzählen haben. Cuarón, der nicht nur Regie führte und das Drehbuch schrieb, sondern auch die Kamera bediente, schuf einerseits gemäldeartige Panoramabilder, auf denen es unfassbar viel zu entdecken gibt. Gleichzeitig arbeitete er aber auch gern mit schicken Plansequenzen, die jede Menge Dynamik in die Wimmelbilder bringen. Dass diese von den meisten nur daheim gesehen werden können, ist natürlich tragisch, selten schrien Aufnahmen so sehr und laut danach, auf der großen Leinwand demonstriert zu werden. Aber selbst auf einem deutlich kleineren Fernseher sind die Schwarzweißbilder ein Ereignis, die zusammen mit dem rührenden, unspektakulären Inhalt einen ganz besonderen Film ergeben.



(Anzeige)

Gleichzeitig universell und individuell, groß angelegtes Kunstwerk wie leises, persönliches Drama – „Roma“ lässt Welten miteinander verschmelzen, die eigentlich im Widerspruch sein sollten und doch wunderbar miteinander harmonieren. Die Geschichte um ein mexikanisches Kindermädchen in den 1970er ist dennoch wenig für das große Publikum geeignet, sondern eher für Leute, die sich an einem detailverliebten Alltag erfreuen können.
8
von 10