Das Leben von Miles Morales ist auch schon einmal einfacher gewesen. Als wäre es nicht schon lästig genug, dass er in ein Internat gesteckt wird, worauf er so gar keine Lust hat. Er wird darüber hinaus auch noch von einer Spinne gebissen und entwickelt daraufhin recht eigenartige Kräfte. Und zu guter Letzt muss er mitansehen, wie sein großes Idol Spider-Man ums Leben kommt. Nun liegt es an Miles, das Vermächtnis des Superhelden fortzuführen, denn das hat er ihm versprochen. Aber wie soll das gehen, wenn man so gar keine Ahnung hat, wie diese Kräfte zu kontrollieren sind? Zum Glück erhält der Teenager bald unerwartete Unterstützung, denn er ist nicht allein mit seinem Schicksal.
Noch vor wenigen Jahren war Spider-Man so etwas wie das schwarze Schaf der Marvel-Filme. Während das Marvel Cinematic Universe einen Rekord nach dem anderen einfuhr und auch die X-Men und ihre Ableger jede Menge Fans fanden, sah es um die Zukunft eines der größten Helden recht düster aus. Denn ausgerechnet dessen Comicadaptionen liefen die Zuschauer weg, während die Budgets explosionsartig anstiegen. Tiefpunkt war The Amazing Spider-Man 2, das kaum noch Gewinn machte, so manch einer munkelte, die Filmrechte würden in absehbarer Zeit wieder an Marvel zurückgehen. Doch es kam anders. Das mit dem MCU entstandene Spider-Man: Homecoming war bei Kritikern wie Kinogängern ein beachtlicher Sprung nach vorne, das im Vorfeld verspottete spinnenlose Venom wurde dieses Jahr einer der größten Überraschungshits.
Die ganze Welt der Comics
Und dann das. Das von der hausinternen Animationssparte Sony Pictures Animation (Hotel Transsilvanien, Emoji – Der Film) produzierte Spider-Man: A New Universe ist nicht nur einer der besten Filme des oft belächelten Studios. Es ist auch einer der besten Animationsfilme des Jahres und setzt sich ohne größere Schwierigkeiten an die Spitze der diesjährigen Marvel-Filme. Und das ist keine Selbstverständlichkeit in einem Jahr, das solche Events wie Black Panther und Avengers: Infinity War hervorbrachte. Denn wie kaum ein anderer Film umarmt diese Neuinterpretation ihr Comicerbe, schafft es gleichzeitig, sich selbstironisch damit auseinanderzusetzen und doch die Geschichten und Fans ernstzunehmen.
Zu viel sollte man über den Inhalt nicht im Vorfeld verraten, denn ein bisschen lebt der Film auch davon, dass die Geschichte eine für Superheldenverhältnisse ungewohnte Richtung einschlägt. Wo andere Adaptionen Kontinuitätsprobleme angesichts zahlreicher Vorlagen und Konkurrenzprodukte meist unter den Teppich kehren oder sich allenfalls à la Deadpool darüber lustig machen, da ist Spider-Man: A New Universe eine einzige und einzigartige Liebeserklärung an das Medium Comic, das sich wie kein anderes ein „alles ist möglich“ auf die Fahnen schreibt. Und wer den Film gesehen hat, der wird auch – ein bisschen Kindlichkeit im Herzen vorausgesetzt – das Gefühl haben, dass tatsächlich nichts unmöglich ist.
Helden des Alltags
Das ist dann auch eines der großen Themen des Films: Jeder kann ein Held sein. Das passt wunderbar zu der etwas niedrigeren Zielgruppe von Spider-Man: A New Universe, die hier gleichermaßen Identifikationsfiguren und Vorbilder findet. Das kann in dem einen Moment bewegend sein, denn Heldentum bedeutet auch immer Verlust. Es kann unglaublich lustig sein, wenn diverse Figuren sich erst noch finden müssen, weit von dem entfernt sind, wie ein Held auszusehen hat. Und manchmal ist der Film auch einfach nur gaga: Die von Phil Lord (Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen, The Lego Movie) entworfene und teils geschriebene Geschichte wirft alles zusammen, was geht. Wirft auch zusammen, was nicht geht, oder zumindest nicht gehen sollte. Und wird doch nie reines Stückwerk.
Glücklicherweise steht die Optik diesem inhaltlichen Gemischtwarenladen nicht nach. Im Gegenteil: Da mögen die Werke von Disney und Pixar noch so sehr die technische Messlatte dominieren, was hier für ein Feuerwerk an Ideen vor den Augen des Publikums explodiert, das muss man gesehen haben. So wie Spider-Man: A New Universe inhaltliche viele Elemente aus der Historie des Spinnenhelden aufgreift, so finden auch die unterschiedlichsten Stile zusammen. Schon der „reguläre“ Cel-shading-Look macht jede Menge Laune. Wenn später noch Comic-Elemente und andere Techniken das Geschehen erweitern, darf man sich auch als längst Erwachsener wieder wie ein kleines Kind fühlen, sei es wegen der vielen Verweise oder auch, weil wir hier tatsächlich das Gefühl haben, ein neues Universum zu betreten. Und das muss man bei einer Reihe, die unzählige Filme und Serien umfasst, erst einmal schaffen.
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