Für Joe Goldberg (Penn Badgley) ist klar: Diese oder keine ist es. Denn als Guinevere Beck (Elizabeth Lail) seinen Buchladen betritt, ist es sofort um ihn geschehen. Und ganz uninteressiert scheint die Schöne ja auch nicht an ihm zu sein, zumindest genug, um an der Sache dranzubleiben. Dass Guinevere eigentlich einen Freund hat, wird dabei schnell zur Nebensache. Das lässt sich ändern. Und auch sonst hat Joe nicht allzu viele Skrupel, um seiner Angebeteten nahezukommen. Er beginnt ihr zu folgen, sowohl in den sozialen Netzwerken wie auch im realen Leben, in der festen Überzeugung, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie seine Gefühle erwidert. Und eine Frage des Willens.
In einer Zeit, in der Serien oft sehr plötzlich einen frühen Tod sterben, man nie genau sagen kann, ob der eigene Liebling überhaupt eine Zukunft hat, ist es schon auffällig, wenn eine Serie verlängert wird, noch bevor die erste Staffel ausgestrahlt wurde. So geschehen bei You – Du wirst mich lieben, welche Anfang September in den USA an den Start ging und nun dank Netflix auch im Rest der Welt verfügbar ist. Das mag in diesem Fall etwas naheliegender sein, schließlich gibt es auch für die literarische Vorlage von Caroline Kepnes bereits einen Nachfolger. Und wo schon ein Buch vorhanden ist, da tut man sich mit der Entwicklung natürlich leichter. Dennoch zeigte es, wie groß das Vertrauen in die Serie war.
Der nette Psycho von nebenan
Tatsächlich bringt die amerikanische Produktion auch jede Menge mit, weswegen es sich lohnt, hier einmal vorbeizuschauen. Dass nette, charmante Menschen sich als Psychopathen entpuppen, das kommt in Filmen natürlich immer wieder mal vor – egal ob nun bei Nachbarn, Dates oder zufälligen Bekannten. Das Besondere an You ist, dass diese Geschichte aber eben aus der Sicht eben dieses Psychopathen erzählt wird, wir Komplizen sind, während der Rest keine Ahnung hat. Dass sie auch auf eine Weise erzählt wird, welche die Grenzen zwischen aufrichtigen Gefühlen und destruktiver Besessenheit sehr viel weniger eindeutig macht.
Joe ist sich dabei natürlich keiner Schuld bewusst. Mehr noch, er ist der aufrechten Überzeugung, dass er das Richtige tut, wenn er Beck derart verfolgt. Denn nur er kann die holde Maid vor all den Schurken da draußen beschützen – ohne zu merken, dass er selbst zum Schurken wird. Das ist als Charakterporträt überaus spannend, bietet You auf diese Weise doch einen Einblick in eine innere Logik, die gleichzeitig verquer und in sich stimmig ist. So wie die Serie allgemein voller Widersprüche ist. Schon die Sache mit dem Genre ist nicht ganz eindeutig, wenn ständig zwischen Drama und Stalker-Thriller gewechselt wird. Zusätzlich ist die Serie aber auch auf eine gewisse Weise romantisch. Und manchmal sogar komisch, wenn der viel mit inneren Monologen hantierende Joe so gar nichts mehr unter Kontrolle hat – oder sich versteckte Duelle mit potenziellen Rivalen liefert.
Und was jetzt?
Allerdings hat dieses ständige auf und ab und hin und her auch den Nachteil, dass You selbst etwas unbeständig ist, auch auf den Unterhaltungsfaktor bezogen. Das anfänglich zwischen spaßig und erschreckend wechselnde Konzept, das Stalkingpotenzial eines Social-Media-Alltags zu zeigen, wird bald aufgegeben. Ab der Mitte der zehn Folgen von Staffel 1 ist irgendwann nicht mehr klar, was denn eigentlich noch der Inhalt der Serie ist. Das ursprüngliche Spannungsfeld wird aufgegeben. Stattdessen versucht die Romanadaption mit anderen Tricks und Geheimnissen das Interesse an sich zu binden. Und natürlich der Frage: Kann eine Beziehung funktionieren, die auf diese Weise entstanden ist?
Das ist als Thema durchaus berechtigt, führt hier aber nicht sehr weit. Zumal hier ein Problem der Serie stärker in den Vordergrund rückt: Beck ist als Figur irgendwie langweilig. Warum Joe ausgerechnet ihr derart verfällt, wird nicht ganz klar, nach anfänglichen eher ungelenken Poesieversuchen der Dame hat sie auffallend wenig zu sagen. Das kann man natürlich passend finden, von anderen Menschen besessen zu sein, hat schließlich oft wenig mit diesen zu tun. Fesselnder ist You jedoch, wenn der Fokus dann doch auf Joe liegt, seine Psyche und die Sehnsucht. Wenn wir ihn nach und nach kennenlernen, seine Abgründe und die Vorgeschichte, Mitleid und Abscheu ineinander übergehen. Das ist auch prima verkörpert von Penn Badgley, der Kleinjungencharme, Hilfsbereitschaft, pathologische Unsicherheit und Zerstörungswut zu einer faszinierenden Mischung zusammenrührt, wie man sie nur selten zu Gesicht bekommt.
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