Der Schüler Dany Arnault ist verschwunden. Morgens schien noch alles in Ordnung, als seine Mutter ihn zur Schule schickte. Doch von dort kam er nie zurück. Dem zuständigen Polizisten François Visconti (Vincent Cassel) geht dies besonders nah, ist der Vermisste doch im Alter seines eigenen Sohnes, zu dem er kein gutes Verhältnis hat. Schon bald stößt er während seiner Ermittlungen auf den Französischlehrer Yann Bellaile (Romain Duris), der ein verdächtig enges Verhältnis zu seinen Schülern pflegt und sich ständig in der Gegend herumtreibt. Hat er vielleicht etwas mit der Geschichte zu tun? Oder weiß er zumindest, was mit dem Jungen geschehen ist?
Manchmal braucht ein Film nur wenige Minuten, um irgendwie alles zu sagen, was es zu sagen gibt. Ein Junge sitzt da in einem Untersuchungszimmer, nachdem er mit etwas Drogen erwischt wurde. Nicht viel, nichts was für eine ernste Verurteilung reichen würde. Aber doch genug, um den anwesenden Polizisten in Tobsucht zu versetzen und jegliche Professionalität zu verlieren. Der stellt sich zwar als der Vater des Sohnes heraus, was die Emotionalität durchaus erklärt. Es macht den Moment aber nicht weniger wirkungsvoll, weniger unangenehm, wenn wir dieser Urgewalt bei ihrem Ausbruch zusehen.
Ein Unhold von einem Helden
Später wird Black Tide die Nebenhandlung um das gestörte Verhältnis zwischen Vater und Sohn vergessen, so als wäre es gar nicht Teil des Films gewesen. Weitere Beispiele für das etwas auffallende Verhalten des Polizisten, die gibt es jedoch genügend. Es spielt dann auch keine echte Rolle, ob er nun potenzielle Täter verhört, sich mit Opfern unterhält, ob in Anwesenheit von Kollegen oder der eigenen Familie: Er findet immer einen Weg, sich daneben zu benehmen. Er pöbelt. Er schreit. Er droht. Und auch der Alkohol weicht ihm nicht von der Seite, was die konstanten Grenzüberschreitungen noch ein bisschen mehr befeuert.
Diese Momente gehören dann auch zu den Höhepunkten des Films. Klar, heruntergekommene Polizisten gab es vorher schon, wird es auch in Zukunft genügend geben. Gerade der skandinavische Bereich steckt voller Beispiele für Figuren, bei denen der Schritt zum Antagonisten nicht weit ist. Doch selten wird es dabei so befremdlich wie hier, dürfen Helden so widerwärtig sein wie Visconti. Das ist auch deshalb beeindruckend, weil Vincent Cassel (Gauguin) voller Inbrunst seine Rolle ausübt, bis an die Grenze des Overactings geht. Romain Duris (Eine neue Freundin) agiert hingegen sehr zurückhaltend, gibt seiner Figur eine schön undurchsichtig-verschlagene Note.
Kontrastreiche Konfrontation
Es ist dann auch dieser Kontrast zwischen den zwei Hauptfiguren, der Black Tide über längere Zeit am Leben erhält. Der eine ist eine wandelnde Bombe, der andere scheint Vergnügen daran zu haben, ein bisschen zu zündeln. Die Frage, was eigentlich mit dem Jungen passiert ist, die wird an der Stelle schnell sekundär. Es ist eher dieses etwas andere Katz-und-Maus-Spiel, das für Spannung sorgt. Wird der Polizist die Antwort aus dem anderen herausprügeln oder schafft es der andere, die Geschichte zu drehen?
Die geht später auch mit einigen Wendungen einher, bleibt aber eher ein Schwachpunkt. Die Adaption des Romans Vermisst von Dror Mishani interessiert sich oft mehr für die Figuren als für den eigentlichen Fall. Das kann spannend sein, ist es teilweise auch. Teilweise aber auch nicht, Black Tide beginnt irgendwann, recht zäh zu werden, wenn der Plot einfach nicht mehr von der Stelle kommt. Als reiner Krimi ist das dann auch nur eingeschränkt empfehlenswert, aufgrund der wenigen Alternativen gibt es nicht so wahnsinnig viele Möglichkeiten, was sich abgespielt hat. Wem es hingegen mehr auf die Charaktere ankommt und eine Vorliebe für Abgründe hat, der hat hier doch einiges zu sehen, das man im Anschluss nicht so schnell wieder aus dem Gedächtnis bekommt.
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