Von klein auf ist Carmen Sandiego in der Welt der Diebe unterwegs, zeigt darin auch sehr viel Geschick. Kein Wunder also, dass sie in der V.I.L.E. Schule für Diebe bald zu den Begabtesten ihres Lehrgangs gehört – womit sie sich aber nicht nur Freunde macht. Vor allem aber hat sie eine etwas andere Einstellung als viele ihrer Mitschüler und Lehrer. Das zeigt sich, als sie sich gegen den Befehl der Leitung an einem Beutezug beteiligt und sich für das Leben Unschuldiger einsetzt. Ihre diebischen Fähigkeiten setzt sie seither zwar noch immer ein. Doch nun stiehlt sie von V.I.L.E. und anderen Verbrechern, um die gestohlenen Waren den rechtmäßigen Besitzern zukommen zu lassen.
In den 80er und 90er Jahren gab es praktisch kein Entkommen vor Carmen Sandiego. Zahlreiche Videospiele waren der Meisterdiebin in dem auffälligen roten Mantel gewidmet, sie trat in mehreren Fernsehserien auf, auch Bücher und Comic wurden nicht zu knapp produziert. Zuletzt war es jedoch etwas ruhiger um die Dame mit den schnellen Fingern geworden. Als Netflix verkündete, das Franchise wieder ausgraben zu wollen und neue Abenteuer auf den Bildschirm zu bringen, schwankten die Reaktionen dann auch zwischen (Wiedersehens-)Freude und Skepsis.
Unerwarteter Seitenwechsel
Vor allem ein Punkt stieß vielen Altfans übel auf: Carmen war traditionell die Antagonistin, deren Ergreifung das erklärte Ziel der Spieler war. In Carmen Sandiego wurde sie aber nicht nur zur Protagonistin umgeschrieben, über deren Hintergründe wir jetzt mehr erfahren dürfen. Sie wurde außerdem zu einer Heldin, die nur die Bösen bestielt. Also eine Art weiblicher Robin Hood, nur eben in der Gegenwart angesiedelt und mit einem deutlich erhöhten Wirkungsradius: Die Diebin von Welt ist wie gewohnt international unterwegs, stehlen kann man schließlich auf dem gesamten Globus.
Der ständige Wechsel der Schauplätze sorgt dann auch für ein bisschen Abwechslung. Die erste Staffel beginnt in Frankreich, später stehen unter anderem Ecuador und Australien auf dem Reiseprogramm. Dazu gibt es wie früher auch Wissenswertes für die junge Zielgruppe: Wenn Carmen und ihr Team einen neuen Einsatzort erkunden, dann geht das mit einer kleinen Einführung einher, beispielsweise zur Geografie des jeweiligen Landes. Sonderlich in die Tiefe geht das natürlich nicht, es ist auch nicht wirklich elegant in die Geschichte eingebettet. Andererseits ist die Mischung aus Abenteuer und kleineren pädagogischen Ambitionen eine, wie man sie heute nur noch selten sieht.
Zwischen Einzigartigkeit und Gewöhnlichkeit
Schade ist hingegen, dass durch die Umdeutung von Carmen doch einiges von ihrem Reiz verlorengegangen ist. So schön es natürlich ist, eine kompetente, junge Heldin zu haben, die es allein mit einer mächtigen Organisation aufnimmt, einen funktionierenden moralischen Kompass hat und dabei sogar noch der Polizei entkommt – ein bisschen langweilig ist sie schon. Der Hintergrund der speziellen Diebesschule ist eher überflüssig, Carmen selbst ist irgendwie austauschbar geworden. Wäre da nicht der rote Mantel, man würde sie im Kinderfernsehen kaum von den vielen anderen Helden unterscheiden können.
Und auch die visuelle Umsetzung ist etwas gemischt. Die Hintergründe sind zwar schön abwechslungsreich, einige der Designs auch markant. Dafür sind die Animationen sehr spärlich, immer wieder hat man das Gefühl, ein Computerspiel von anno dazumal zu sehen. Doch trotz der nicht immer ganz gelungenen Mischung aus Einzigartigkeit und Gewöhnlichkeit: Carmen Sandiego ist eine nette Serie, kombiniert Krimi und Abenteuer, lockert das Ganze auch noch mit etwas Humor auf. Für ein erwachsenes Publikum ist das in der Summe zwar nicht ganz genug. Wer jedoch etwas für den eigenen Nachwuchs sucht, der macht hier nichts verkehrt.
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