Es hätte ein schöner Abend im Kreis der deutsch-jüdischen Familie Glickstein sein sollen. Doch von vornherein lag ein dunkler Schatten über dem Treffen. Die Geschäfte liefen schon einmal besser, ein Abschluss muss dringend her, sonst droht die Pleite. Und dann auch noch das: Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt, was vor allem Familienoberhaupt Aron (Bruno Eyron) große Sorgen bereitet. Seine Kinder gehen mit der Situation völlig unterschiedlich um. Während Tochter Leah (Mira Elisa Goeres) nach Palästina möchte, sympathisiert Sohn Michael (Patrick Mölleken) offen mit der NSDAP – zum Entsetzen der restlichen Familie.
Der Zeitpunkt von Das letzte Mahl ist gleich doppelt aktuell. Zum einen betrifft es natürlich den Tag des Kinostarts: der 30. Januar, der Jahrestag von Hitlers Machtergreifung. Doch der Film, so wird schnell klar, will mehr sein als nur eine Erinnerung an das, was einmal war. Er versteht sich auch als Warnung vor dem, was kommt, was kommen mag. Nur wenige Minuten dauert es, das feierliche Abendessen hat gerade erst begonnen, da fällt schon der Satz, der einen unruhig auf dem Kinosessel hin und her rutschen lässt: Hitler spreche endlich Klartext und nur das aus, was viele denken, sich aber nicht zu sagen trauen. Parallelen zum aktuellen Rechtsaußen des Bundestages liegen da auf der Hand, sind auch so gewollt.
Zwischen Privatem und Politischem
Vieles an Das letzte Mahl ist gewollt, sehr offensichtlich gewollt sogar. Das Drama hat es sich zur Aufgabe gemacht, die vielen sehr widersprüchlichen Ansichten, die mit dem Beginn des Dritten Reiches einhergingen, in einem Aufwasch abzuarbeiten. Dafür wählten die Drehbuchautoren Florian Frerichs, der zudem Regie führte, und Stephan Warnatsch eine Familie. Dort läuft alles zusammen, dort spiegeln sich die unterschiedlichsten Strömungen wieder. Zudem versucht sich der Film an einem ambitionierten Zusammenspiel: das Private und das Politische verschmelzen miteinander, Verletzungen im Kleinen können die Grundlage für große Ansichten sein. Oder das, was manche für große Ansichten halten.
Die Balance klappt manchmal besser, manchmal schlechter. Die spannendste Figur ist natürlich die von Michael. Ein Jude, der freiwillig für die NSDAP ist? Für die Partei, die alle Juden beseitigen wollte? Das ist absurd. Aber eben nicht unmöglich, wie das aktuelle Wählerklientel von Donald Trump zeigt, in dem ebenfalls Vertreter der Bevölkerungsgruppen auftauchen, gegen die er hetzt. An der Stelle mehr zu erfahren, hätte dem Film sehr gut getan. Ist Michaels so unverständlich erscheinende Erscheinung Ausdruck seiner jugendlichen Rebellion, wie es hier an einer Stelle behauptet wird? Oder ist die Situation komplexer?
Viele Positionen, wenig Tiefgang
Leider schweigt sich Das letzte Mahl an der Stelle aus, beschränkt sich an vielen Stellen mit Gemeinplätzen und stark vereinfachter Charakterisierung. Arons Schwester Sarah (Sandra von Ruffin) beispielsweise ist nur die Holzschnittvariante der linken Revolutionärin. Sie wiederholt sich, ist gegen alles, was andere sagen und sind. Nur wer sie selbst ist, das wissen wir auch anderthalb Stunden später nicht. Familie Glickstein ist weniger eine Ansammlung von Individuen als vielmehr eine Ansammlung von Einzelpositionen, zwischen denen es im Laufe des Abends kräftig krachen soll. Eine Versuchsanordnung, kein Abendessen.
Verstärkt wird das durch den Hang zur Theatralik und das beschränkte Setting: Ein Großteil des Films spielt am oder um den Tisch. Es mangelt dem Zusammentreffen dadurch an der notwendigen Natürlichkeit, um aus dem Projekt eine tatsächlich fühlbare Geschichte zu machen. Nur weil Figuren sich anbrüllen, entsteht daraus noch keine Emotionalität. Doch trotz dieser konstanten Künstlichkeit: Das letzte Mahl hat seine Momente, über die man im Anschluss noch kräftig nachdenken kann. Der Film hat auch jede Menge zu sagen, gerade in einer Zeit, in der das Vergessen wieder in Mode kommt und überall wieder kräftig gezündelt wird. Für die Glicksteins mag es das letzte gemeinsame Mahl gewesen sein. Doch es wird nicht das letzte seiner Art bleiben.
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