In der nahen Zukunft ist Gewalt zu einem ständigen Begleiter geworden. Das gilt für die jugendlichen Waisen, die alles kurz und klein schlagen, was ihnen in den Weg kommt. Das gilt aber auch für die Obrigkeit, die ihrerseits keine Scheu kennt, wenn es um die Eliminierung von Störenfrieden geht. Dazwischen steht Jessica (Aomi Muyock), eine junge Frau, die sich für eine Truppe dieser Waisen einsetzt und alles dafür tut, sie zu beschützen – wofür sie abgöttisch geliebt wird. Aber auch sie kann nicht verhindern, dass die Jungs immer wieder in Schwierigkeiten geraten. Als einer von ihnen dabei ums Leben kommt, droht die fragile Gemeinschaft endgültig auseinanderzubrechen.
Jessica Forever ist ein gemeiner Film. Nicht nur, dass hier eine sehr unschöne Zukunft gezeigt wird, in der jeder jeden tötet, man nirgends seines Lebens sicher sein kann. Nicht auf der Straße. Nicht im Wohnzimmer. Der Film täuscht zudem vor, etwas zu sein, was er gar nicht ist, und hat dann auch noch die Frechheit, gar nicht klar zu machen, was er denn stattdessen sein will. Was wie ein endzeitlicher Actionfilm beginnt, in dem zivile SWAT-Teams umherstreifen und sich Kämpfe mit Drohnen liefern, mutiert zu einem der seltsamsten Werke, die letztes Jahr auf dem Toronto International Film Festival gezeigt wurden.
Was soll dieser Quatsch?
Die Reaktionen waren entsprechend verheerend, auf imdb wurde der Film abgestraft, auch das Festival-Publikum beschwerte sich lautstark, was der ganze Quatsch denn sollte. Wobei andere durchaus angetan waren von dieser so seltsamen Zukunftsvision. Gleiches gilt für die Kritiker, die sich einfach nicht einig werden konnten, ob das Regie- und Drehbuchduo Caroline Poggi und Jonathan Vinel ein interessantes Spielfilmdebüt gedreht haben oder eine absolute Zumutung. Denn beides stimmt irgendwo.
Ein Problem dabei: Die durch die rasant-gewalttätige Anfangssequenz geweckten Erwartungen werden später nicht erfüllt. Dann und wann kommt es zu weiteren Actionszenen. Ein Großteil von Jessica Forever besteht aber daraus, dass die bewaffneten Männer und Frauen nicht wirklich etwas tun. Manchmal sagen sie was, das dann oft mit einer derart übertriebenen Ernsthaftigkeit, so als wäre der Film eine Parodie auf Endzeitkollegen wie Mad Max: Fury Road oder Maze Runner – Die Auserwählten im Labyrinth. Und auch die wenig überzeugenden Spezialeffekte tragen dazu bei, das hier nur schwer ernstnehmen zu können.
Einsam, rätselhaft, nichtssagend
Und doch würde man diesem mit Sci-Fi- und Fantasyelementen durchsetzten Drama unrecht tun, wenn man es auf reinen Trash reduzieren wollte. Denn auf seine Weise kann es auch richtig berührend sein. Jessica Forever, das ist ein Film über Außenseiter, über Ausgestoßene. Über Jugendliche, für die es keinen Platz gibt. Wirkliche Erwachsene sind hier dann auch weit und breit nicht zu sehen. Menschen allgemein sind eine rare Spezies geworden, während das Drumherum aber geblieben ist. Wie eine Geisterstadt wirkt das, ein bisschen wie die ersten Momente in In My Room, nachdem die Menschheit plötzlich verschwunden war.
Das anarchisch-seltsame Ambiente wird noch weiter verstärkt, wenn Gegenstände sich nicht mehr so verhalten, wie wir sie kennen. Sie ein willkürliches Eigenleben entwickeln. Diese Momente sind jedoch selten, insgesamt haben die beiden Filmemacher offenkundige Probleme damit, ihre Kurzfilmerfahrungen auf Spielfilmlänge auszuweiten. So reizvoll dieser sich festen Genregrenzen verweigernde Film im Grundsatz ist, für mehr als anderthalb Stunden reicht das dann doch nicht. Ein experimentierfreudiges Publikum sollte diese seltsame Mischung aus Genrekino und Kunstinstallation ins Auge fassen. Denn mutig ist das, was hier auf die Menschheit losgelassen wird. Zuschauer auf der Suche nach einem „normalen“ Film und einem ordentlichen Unterhaltungsfaktor, die werden mit diesem minimalistisch-rätselhaften Dystopie-Versuch jedoch kaum glücklich.
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