So richtig toll ist das Leben des 13-jährigen Stevie (Sunny Suljic) ja nicht. Wirkliche Freunde hat er nicht, auch keine Ahnung, wer er sein will. Zwar gibt es da noch seinen älteren Bruder Ian (Lucas Hedges), zu dem er aufblickt. Der will von ihm aber nichts wissen. Da macht Stevie eines Tages die Bekanntschaft von mehreren Skatern, Ray (Na-kel Smith), Fuckshit (Olan Prenatt), Grade (Ryder McLaughlin) und Ruben (Gio Galicia), und erkennt darin die Chance, endlich irgendwohin zu gehören. Tatsächlich schafft er es auch, sich mit ihnen anzufreunden und akzeptiert zu werden. Doch das bringt ihm bald auch neuen Ärger ein, denn der neue Lebensstil kommt bei ihm daheim so gar nicht gut an.
Ah, und noch ein Schauspieler, der meint, auch hinter der Kamera etwas sagen zu müssen. So etwas kommt häufiger mal vor, mit zwangsweise sehr gemischtem Ergebnis. Während manche daraus eine lukrative Zweitkarriere gemacht haben – Bradley Cooper lieferte mit seinem Debüt A Star Is Born unlängst einen enormen Kassenschlager ab, der zudem für acht Oscars nominiert wurde –, sind andere Versuche schnell wieder abgehakt. Hier ist es Jonah Hill (Maniac), der ursprünglich aus dem komischen Fach kommt und mit Mid90s sein erstes Werk als Regisseur abliefert.
Hässliches für Genießer
Anders als Cooper schielte Hill hier aber ganz offensichtlich nicht auf den großen Reibach. Große Publikumsmagneten sind hier nicht zu finden. Der bekannteste Schauspieler ist noch Lucas Hedges (Manchester by the Sea, Ben Is Back), der hier aber nur eine Nebenrolle innehat, die zudem ganz untypisch für ihn ausfällt. Ausgerechnet der notorisch gute Junge von nebenan spielt einen Jugendlichen, der seine Aggressionen nicht im Zaum hält und sich regelmäßig brutale Kämpfe mit seinem jüngeren Bruder liefert. Mit einem solchen beginnt Mid90s auch, wenn die beiden sich mal wieder in den Haaren haben, aufeinander einschlagen, man auf den ersten Blick nicht erkennen würde, dass die zwei eine Familie sind.
Warum Ian so voller Wut ist, ist nicht ersichtlich, wird es auch später nicht. Hill hat nicht vor, hier alles fein säuberlich vor dem Publikum auszubreiten, weder bei ihm, noch dem Rest des Films. Rau ist Mid90s geworden, spröde, weit entfernt von Hochglanz-Hollywood. Die Jugendlichen dürfen hier noch wirkliche Jugendliche sein, sich ihrem Alter entsprechend verhalten. Und das kann hässlich sein. Sie werfen sich Beleidigungen an den Kopf, sparen nicht mit frauenfeindlichen oder homophoben Sprüchen, wollen größer, besser, cooler sein. Auf Anweisungen von außen spucken sie, was andere von ihnen halten, ist ihnen egal. Sie tragen ihre Schäbigkeit offen zur Schau und wollen doch dabei vergessen.
Eine Clique im Wandel
Spannend ist dabei gerade auch die Gruppendynamik. Ruben, der sich anfangs als Stevies Mentor aufspielt und die Gelegenheit genießt, sich als erfahrener Macher zu präsentieren, wird von dem Neuankömmling nach und nach verdrängt. Und das ist nicht der einzige Konfliktherd. Auch bei den älteren Jugendlichen zeichnet sich ab, wie über Jahre gepflegte Freundschaften langsam auseinanderdriften. Sie fahren weiterhin zusammen Skatboard, feiern, hängen jeden Tag miteinander ab. Und doch ist Mid90s ein Film über einen Umbruch, eine Selbstsuche, bei der noch gar nicht klar ist, in welche Richtung sie uns am Ende führen wird.
Das Drama, welches auf dem Toronto International Film Festival 2018 Weltpremiere hatte, ist dabei ebenso ziellos wie seine jungen Protagonisten. Doch das ist hier ausnahmsweise mal kein Kritikpunkt, sondern Teil eines Konzepts. Mid90s ist ein dokumentarisch anmutender Ausschnitt eines jungen Lebens, der sich aus lauter unzusammenhängenden Banalitäten zusammensetzt, die uns bestimmen und doch kaum fassbar sind. Der Film ist mehr Situation als Geschichte, die Stimmung steht in der Hierarchie oberhalb der Handlung. Die ist teilweise nostalgisch gefärbt, der Film trägt seinen Titel nicht umsonst. Wer selbst aus dieser Zeit stammt, mit dem entsprechenden Soundtrack, den damals üblichen Klamotten oder dem Anblick von Retro-Videospielen das Herz übergeht, der hat natürlich mehr von dem Film. Aber auch der Rest darf sich diese kleine Indie-Perle einmal näher anschauen, denn trotz der festen zeitlichen Verankerung ist vieles hier doch sehr zeitlos, vergleichbar zu Lady Bird – auch wenn die Figuren hier doch bewusst weniger sympathisch gestaltet sind.
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