Nur noch wenige Wochen, dann steht für Duncan Vizla (Mads Mikkelsen) der Ruhestand an. Wirklich alt ist er zwar noch nicht, aber in seinem Metier ist es auch nicht üblich alt zu werden. Schließlich ist er ein Auftragskiller, ein verdammt guter noch dazu. Das weiß natürlich auch Mr. Blut (Matt Lucas), sein Boss, was diesen aber nicht davon abhält, seinen Vorzeigeangestellten vorzeitig abmurksen zu lassen. Schließlich bedeutet Ruhestand in diesem Fall eine fette Pension. Und das ist etwas, was Mr. Blut gern vermeiden würde. Also dürfen andere Killer ran, um Vizla den Abschied aus dem Leben etwas zu erleichtern. Da trifft es sich doch gut, dass der einsame Wolf sich inzwischen zu seiner Nachbarin Camille (Vanessa Hudgens) hingezogen fühlt. Denn wo Gefühle, da auch Schwäche. Und wer gegen einen der besten Killer der Welt antritt, der ist für jede Schwäche dankbar.
In den USA herrscht gerade eine akute Verwechslungsgefahr. Ob das nun glücklicher oder blöder Zufall ist, mag dahingestellt sein. Irgendwie ist es aber schon witzig, wenn innerhalb einer Woche gleich zwei Thriller mit Mads Mikkelsen erscheinen, die einen eisigen Titel tragen. Während Arctic jedoch ein ernst gemeinter Survival-Thriller ist, gibt es bei Polar völlig überzogene Comic-Gewalt. Und auch beim Urteil der Kritiker ist der Unterschied deutlich. Das Leinwandabenteuer schneidet durch die Bank weg gut ab, der neue Netflix-Film hingegen löst blankes Entsetzen aus.
Die Faszination des Übels
Dabei ist das hier nicht annähernd so übel, wie erste Kritiken vermuten lassen. Nicht annähernd so übel wie manch anderes Werk, das einem der Streamingdienst vor die Füße geworfen hat. Es geht sogar eine gewisse Faszination von Polar aus, was in erster Linie damit zusammenhängt, dass hier nichts so recht zusammenpasst. Dass sich Regisseur Jonas Åkerlund offensichtlich nicht entscheiden konnte, was genau er da eigentlich drehen wollte. Dass man nach dem Auftauchen des Abspanns so gar keine Ahnung hat, was zum Henker man da eben eigentlich gesehen hat.
Die einzelnen Elemente sind natürlich wenig ungewöhnlich, hat man schon in dem einen oder anderen Film gesehen. Ein Auftragskiller, der sich aus dem Geschäft zurückzieht. Eine letzte Mission, bei der alles schief geht. Eine hübsche Damsel in Distress, die dem eiskalten Mörder das Herz erwärmt. Da braucht es wirklich keine übergroßen Kenntnisse der Filmgeschichte, um sich an ähnliche Werke zu erinnern, gerade der B-Movie-Bereich quillt über vor solchen Filmen. Hätte sich Polar alleine darauf konzentriert, es wäre ein wenig bemerkenswerter Action-Thriller daraus geworden, der allenfalls dadurch Aufmerksamkeit erregt, dass Mikkelsen (Hannibal) den Assassinen spielt.
Ein ernst gemeinter Trash ohne Sinn oder Geschmack
Aber Polar ist eben mehr als das. Åkerlund, der seine Karriere als Regisseur von Musikvideos begann – unter anderem Smack My Bitch up von The Prodigy und Ray of Light von Madonna –, drehte einen seltsam gespaltenen Film. Auf der einen Seite ist das hier kunterbunter Trash, überzogen bis zur Schmerzgrenze. Etwas, das als eine Karikatur von Killer-Thrillern durchgehen könnte. Gleichzeitig nimmt sich der Streifen aber auch ernst. Nimmt Mikkelsen ernst, was er da tut. Da trifft eine ruhige Melancholie auf bizarre Gewalt, der Versuch von Tragik auf grelle Zerstörungslust. So ähnlich wie John Wick, von dem man ja auch nicht immer so genau sagen konnte, ob das ein regulärer Genrebeitrag oder eine Parodie sein sollte – ein Massaker zu veranstalten wegen eines Hundes und Autos, das ist selbst für diesen Bereich schon reichlich absurd.
Wo der Kollege aber diese Balance meisterte und alles wie aus einem Guss erschienen ließ, da zerfällt Polar regelmäßig in seine Bestandteile. Die Adaption des gleichnamigen Webcomics von Víctor Santos ist Guilty Pleasure und Ärgernis in einem, ist unterhaltsam und doch auch irgendwie langweilig. Ständig passiert was, sind Killer unterwegs. Und doch hat man das Gefühl, dass die Geschichte so gar nicht aus dem Quark kommt. Dass hier nichts eine Rolle spielt. Das wird am ehesten Zuschauern gefallen, die sich an völlig übertriebener Gewalt erfreuen können. Denn davon gibt es reichlich, ebenso völlig überflüssige Sexszenen. Andere werden zumindest davon fasziniert sein, wie Mikkelsen oder auch später Richard Dreyfuss Fremdkörper in etwas sind, das man einen schlechten Scherz nennen könnte. Wer jedoch einen guten Film erwartet oder zumindest einen stimmigen Film, der wird sich bei diesem aufgeblähten Hauch von Nichts wünschen, dass doch der andere eisige Thriller seinen Weg hierher gefunden hätte.
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