Es war vielleicht doch ein wenig viel Alkohol, denkt sich Álvaro Vizcaíno (Alain Hernández), als er am nächsten Morgen in seinem Wagen aufwacht. Eine abgelegene Küste, ideal zum Surfen, hohe Wellen, strahlender Sonnenschein. Eine wirkliche Urlaubsstimmung herrscht jedoch nicht bei ihm, dafür ist zuvor zu viel vorgefallen. Doch sein größtes Problem steht erst noch bevor: Er verunglückt am Abhang, bricht sich dabei seine Hüfte und muss nun verzweifelt um sein Leben kämpfen. Denn hier draußen wird ihn niemand finden. Und er selbst kann nicht mehr weg.
Viel Zeit verliert Regisseur und Drehbuchautor Hugo Stuven ja nicht: Solo beginnt damit, dass sich Álvaro mit letzter Kraft am Rand der Klippe festhält, während die Kamera schwelgerisch umherwandert, sich immer weiter entfernt, bis am Ende nur noch ein kleiner Punkt zu erkennen ist. Damit gibt er vor, was wir in seinem Film erwarten können. Und was nicht. Große Bilder stehen hier im Fokus, der Spanier will das Abenteuer des Verunglückten zu einem Event machen, das größer ist als das Leben. Ist es denn nicht auch ein Wunder, dass hier jemand einen solchen Unfall und die anschließende Isolation überleben konnte?
Das Wunder des (Über-)Lebens
Vergleichbare Filme gibt es natürlich nicht zu knapp, Survivaltrips mit wahrem Hintergrund – auch der Netflix-Beitrag Solo basiert offensichtlich auf einer realen Geschichte – versprechen immer jede Menge Nervenkitzel. Sofern man auf Überraschungen verzichten kann, versteht sich. Schließlich gehen die Überlebensdramen meistens glimpflich aus, müssen sie auch, damit jemand da ist, der seine Erfahrungen noch teilen kann. Es kommt daher im Normalfall nicht darauf an, ob jemand überlebt, sondern wie er das schafft. Je spektakulärer die Szenen dazwischen, umso besser, umso größer ist schließlich auch die Befriedigung am Ende, den Gefahren getrotzt zu haben.
Solo hat es in der Hinsicht zwangsläufig eher schwierig. Ein Mann, der an einem Strand liegt und aufgrund einer gebrochenen Hüfte maximal etwas robben kann, das erlaubt nicht wirklich viel Abwechslung. Hier gibt es keine furchtbaren Stürme, keine wilden Bestien oder anspruchsvolle Körpereinsätze. Die größte Gefahr besteht darin, den Nahrungs- und Wassermangel zu überstehen. Da das allein keinen so wahnsinnig aufregenden Film macht, entschied sich Stuven, die Chronologie der Ereignisse aufzulösen und die Szenen der Gegenwart mit vielen Erinnerungen und Gedanken zu durchkreuzen.
Eine Reise ins Innere
Auch das haben viele Kollegen vor ihm gemacht, beispielsweise Überleben – Ein Soldat kämpft niemals allein, wo der Protagonist sich irgendwie die Zeit vertreiben musste, nachdem er unglücklicherweise auf eine Tretmine geraten ist und seinen Fuß nicht mehr bewegen konnte. So wie dort ist die ungeplante Isolation ein Anlass, Vergangenes zu analysieren und verarbeiten. Der schmerzhafte Aufenthalt am Strand, er wird hier zu einer inneren Reise und Läuterung, an dessen Ende Álvaro um einiges schlauer ist. Oder es zumindest denkt.
So etwas kann im Prinzip natürlich durchaus reizvoll sein. Im Fall von Solo ist es das aber nicht. So uninteressant das eigentliche Abenteuer ist, das unser unfreiwilliger Held überstehen muss, so uninteressant ist auch seine Vorgeschichte. Die ist dafür aber mächtig aufgeblasen, nicht nur bei den Bildern, auch beim Inhalt setzt Stuven auf jede Menge Pomp. Eine furchtbar aufdringlich-dramatische Musik, die üble Erinnerungen an den ähnlich unnötig verkitschten Survivaltrip Die Farbe des Horizonts erinnert, verhindert jegliche Form von Intimität oder Authentizität. Als hätten hier alle so richtig Angst davor, allein zu sein, wird die an und für sich existenzielle Erfahrung des Verunglückten zu einem Möchtegernepos gemacht, der zwar sehr schön aussieht, letztendlich aber versandet, ohne Spuren zurückzulassen.
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