Wir alle nutzen dann und wann mal die Möglichkeiten, den Alltag hinter uns zu lassen, um etwas Neues zu sehen, etwas Anderes zu erfahren, jemand Anderes zu sein. Das mag der Urlaub sein, der uns ferne Plätze näherbringt, ein spannender Krimi, der die Zeit vergessen lässt. Manche schlüpfen vielleicht auch in fremde Rollen, um so eine kleine Auszeit von sich selbst zu bekommen. Veera zum Beispiel macht Live-Rollenspiele. Darin wird sie etwa zur Magierin, bekämpft Feinde, erlebt große Abenteuer. Alles, was sie im normalen Leben nicht kann.
Dieses etwas andere Hobby genießt eine treue Fangemeinde, die teils richtig viel Zeit und Geld investiert, um Teil einer alternativen Realität werden zu können. The Magic Life of V interessiert sich jedoch weniger für das Hobby an sich. Szenen daraus gibt es immer wieder, wenn die mutige Truppe durch dunkle Orte schleicht, bei denen auf Tritt und Schritt Gefahren lauern. Und wer noch nie an so einer Veranstaltung teilgenommen hat, diese Freizeitbeschäftigung vielleicht auch gar nicht kennt, für den kann das ein faszinierender Anblick sein.
Schwierige Reise in die Vergangenheit
Der finnische Regisseur Tonislav Hristov verzichtet jedoch darauf, hier noch in die Tiefe zu gehen. Er kommentiert das Geschehen nicht, gibt keine Hintergründe, fragt die Teilnehmer nicht, was sie dazu veranlasst, teilzunehmen. Stattdessen befasst sich der Dokumentarfilm, der auf dem Sundance Film Festival 2019 Premiere feierte und im Rahmen der Berlinale 2019 nach Deutschland kommt, ausschließlich mit Veera. Sie kommt aus nicht ganz einfachen Verhältnissen, so weit ist schnell klar. Vor allem ihr Vater, dessen Nachnamen sie vor einer Weile abgelegt hat, liegt wie ein großer Schatten auf ihr und den anderen.
The Magic Life of V gibt nach und nach Einblicke in die Vorgeschichte und den Werdegang der jungen Frau, stellt auch Veeras älteren, geistig zurückgebliebenen Bruder vor, um den sie sich oft kümmern musste. Der in einem Moment, rührend und kurios zugleich, auch mal selbst zum Schwert greifen darf. Das Bild, das Hristov hierbei von LARP zeichnet, kurz für Live Action Role Playing, ist zweischneidig. Einerseits bestätigt es das Vorurteil, dass Leute hier nur mitmachen, weil ihr „echtes“ Leben kaputt oder traurig ist. Menschen, die mit der Realität nicht klarkommen und deswegen einen Ersatz brauchen.
Die innere Kraft finden
Gleichzeitig ist der Dokumentarfilm ein bewegendes Porträt. Veera, die ihr Hobby brauchte, um ihrem Zuhause zu entkommen, muss nun in sich die Kraft finden, sich der Vergangenheit zu stellen. Sich Dämonen zu stellen, die nicht da draußen in Kostümen oder als Spezialeffekten warten, sondern in einem selbst, seit vielen Jahren in der Dunkelheit lauern. Wenn die Finnin zum Ende des Films diese Kraft in sich entdeckt, dann ist das befreiend und traurig in einem, wird mit einer Einstellung belohnt, die magisch ist und Mut macht. Das ist zwangsweise etwas voyeuristisch, aber doch eben auch aufbauend, sowohl für junge wie auch etwas ältere Zuschauer.
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