Viele Jahre ist es nun schon her, dass die Mutter gestorben ist. Aber noch immer sieht es die 18-jährige Maria (Maria Dragus) als ihre Aufgabe an, die Familie zusammenzuhalten: ihre jüngere Schwester Hannah (Anna Bachmann) und ihr Vater Johann (Clemens Schick). Zusammen leben sie in einem kleinen Dorf in Süddeutschland, der Alltag ist von Arbeit und Routine geprägt. Doch das eingespielte Team kommt ins Taumeln, als eines Tages Valentin (Enno Trebs) in dem Dorf vorbeikommt und eine Stelle bei Johann annimmt. Denn Maria entwickelt schnell Gefühle für den hübschen Neuankömmling, träumt davon, mit ihm fortzugehen. Doch was soll mit den anderen geschehen?
Nein, leicht macht es Felix Hassenfratz dem Publikum sicher nicht. Einige Kurzfilme hat er zuvor gedreht, war auch im dokumentarischen Umfeld unterwegs. Verlorene ist nun sein Spielfilmdebüt als Regisseur und Drehbuchautor. Dafür hat er sich auch einiges vorgenommen, wenn er nach und nach die Mechanismen einer süddeutschen Familie offenlegt. Dass da einiges im Argen liegt, liegen muss, das verrät bereits der Titel, der Maria trotz des festen Familiengefüges als verloren bezeichnet. Das verraten auch die diversen Anspielungen, die er immer wieder einbaut.
Du hast hier nichts verloren
Was genau bei dem Trio nicht stimmt, das verrät er jedoch erst recht spät, die Hälfte des Films ist zu dem Zeitpunkt schon rum. Und selbst das geschieht ohne großen Aufhebens. Oder große Worte. Gesprochen wird da ohnehin nicht viel im Süden Deutschlands, vieles verschwindet hinter einer Mauer aus Schweigen. Und wenn sich doch mal jemand berufen fühlt, sich verbal zu der Welt zu äußern, dann in einem sehr ausgeprägten Dialekt, so als wollte Verlorene allein dadurch schon deutlich machen: Wir sind hier unter uns, Fremde haben da nichts zu suchen!
Aber wie das so ist, wenn dann doch mal ein Außenstehender auftaucht: Das ist immer ein guter Anlass, über das nachzudenken, was wir im Alltag als ganz selbstverständlich nehmen. Verlorene, das auf der Berlinale 2018 Premiere feierte, ist daher zwei Geschichten auf einmal. Die stärkere ist ganz klassisch: Das Drama erzählt von dem allmählichen Loslösen von familiären Fesseln. Lange ist Maria in dem Dorf geblieben, hat sich um alles gekümmert, um jeden, brav ihre Orgel gespielt, so wie es von ihr erwartet wurde. Valentin ist nicht nur ein Fremder, er ist eine Alternative, das Symbol von Freiheit. Von Selbstbestimmung. Maria darf etwas Neues ausprobieren und sich selbst finden, es zumindest versuchen.
Das dicke Ende
Gleichzeitig soll Verlorene aber auch ein Film über ein dunkles Familiengeheimnis sein. Und das ist irgendwie sehr viel weniger sehenswert. Grundsätzlich ist es natürlich zu unterstützen, wenn Tabuthemen angesprochen werden und eine Diskussion in Gang gesetzt werden soll. Das geschieht hier jedoch auf eine nur wenig befriedigende Weise. Wirkliche Hintergründe spart sich der Film auf, will gleichzeitig ganz leise sein und ist doch mit seiner Symbolik nicht gerade subtil. Es bleibt auch seltsam ohne Konsequenz, was hier geschieht.
Das ist manchmal sehenswert, auch weil die Kamera den Protagonisten eng auf die Pelle rückt. Und Maria Dragus (Tiger Girl, Licht) ist ohnehin eine Idealbesetzung für eine junge Frau zwischen Verschlossenheit und Rebellion. Jemand, der viel sagt, ohne etwas zu sagen. Nur will das alles nicht so recht reichen, entwickelt nicht die emotionale Wucht, die das Thema eigentlich mit sich bringen sollte. Versucht das Gewöhnliche und das Ungewöhnliche miteinander zu vermengen, nur um am Ende nichts wirklich zu sein.
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