Dass es Frauen in Hollywood ungleich schwerer haben, das zeigte sich die Tage wieder, als die Oscar-Nominierungen verkündet wurden und außerhalb der typischen Frauenkategorien Männer das Sagen haben. Wie so oft. Aber auch der Bereich Filmkritik war eine oft von Männern dominierte Disziplin. Eine der wenigen, die es schon früh verstanden, sich hier Gehör zu verschaffen, war Pauline Kael. Was kein Wunder ist, soll sie doch mehr Testosteron als alle Männer gehabt haben – so die Filmkritikerin Molly Haskell, deren verstorbener Mann Andrew Sarris eine leidenschaftliche und legendäre Feindschaft mit Kael pflegte.
Ich streite mich mit jedem
Hierzulande dürfte der Name Kael eher weniger Leuten ein Begriff sein. In den USA war die Autorin des New Yorker Magazins aber eine Institution, die ebenso verehrt wie gefürchtet war. Von den späten 60ern bis Anfang der 90er schrieb sie regelmäßig und wurde während der Zeit eine der einflussreichsten Stimmen. Aber auch eine der umstrittensten. Dabei waren es zwei Eigenschaften, welche die gebürtige Kalifornierin so besonders machte. Da wäre zum einen ihr bissiger Tonfall und ihre Konfrontationslust, gerade auch bei Verrissen, mit dem sie sich jede Menge Feinde machte – wie den obigen Sarris, aber auch zahlreiche Filmemacher.
Bemerkenswert war aber auch ihre konsequent subjektive Herangehensweise. Wo sich viele Kollegen und Kolleginnen lieber an Theorien halten, an objektive Maßstäbe, mit deren Hilfe sie sich Filmen annähern, da war Kael nur eines wichtig: Konnte sie etwas damit anfangen? Sie versuchte erst gar nicht, wissenschaftlich an die Sache heranzugehen, war bei manchen Regisseuren voreingenommen. Im Mittelpunkt ihrer Kritiken stand nicht der Film selbst, sondern ihre eigene Persönlichkeit, die sie in pointierte Sätze packte, die heute jeden Twitter-User stolz machen würde.
Schöner Rundumschlag
All das erfährt man durch den Dokumentarfilm What She Said – The Art of Pauline Kael, der im Rahmen der Berlinale 2019 erstmals ins Deutschland zu sehen sein wird. Man muss die Protagonistin deshalb nicht zwangsweise kennen, um hier folgen zu können. Regisseur Rob Garver gelingt ein schöner Rundumschlag, der das Leben der kontroversen Schreiberin zusammenfasst und auch Neulingen näherbringt. Dafür gibt es neben den üblichen Elementen eines solchen Porträts – historische Aufnahmen und Interviews mit zahlreichen Promis und Weggefährten – auch Ausschnitte zahlreicher Filme, zu denen Kael etwas zu sagen hatte.
Das macht die Doku natürlich vor allem für Filmfans interessant: Der chronologische Abriss ihres Schaffens ist gleichzeitig ein cineastisches Geschichtsbuch über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir erfahren hier, wie sich Filme während dieser Zeit gewandelt haben, aber eben auch, wie diese von Kritikern und Publikum aufgenommen wurden. Das ist spannend und unterhaltsam zugleich, da Kael – man mag zu ihren Ansichten und ihrer Arbeit stehen, wie man will – ein echtes Individuum war, deren Rezensionen erhellen und verblüffen konnten, erheitern und vor den Kopf stoßen. Eine Frau, die vor allem auch dazu aufmuntert, für sich selbst zu denken und eine eigene Meinung zu finden. Und das ist auch 17 Jahre nach ihrem Tod eine noch immer zeitgemäße Einstellung.
(Anzeige)