Erst waren es nur sporadische Schmerzen, die Leo (Tim Oliver Schultz) da in seinem Bein spürt, beim Fußballspielen beispielsweise. Doch dann kommt es knüppeldick: Er hat Krebs. So wie seine Mutter. Auch Jonas (Damian Hardung) geht es gerade nicht so gut. Das hat jedoch nur zum Teil mit seinem Körper zu tun. Vielmehr ist es sein tyrannischer Bruder, der ihm zu schaffen macht. Und auch bei Emma (Luise Befort), Alex (Timur Bartels) und Toni (Ivo Kortlang) läuft es daheim derzeit nicht so toll. Wobei sie noch nicht ahnen, dass es eben diese Schwierigkeiten sind, die sie später einmal zusammenfinden lassen werden.
Was einmal geht, das geht auch zweimal. Oder dreimal. Oder eben noch ein bisschen häufiger. Das gilt für die von Albert Espinosa entwickelte Serie Polseres vermelles über eine Gruppe von Krankenhauskindern, die sich anfreunden. Denn die war so erfolgreich, dass in mehreren Ländern eigene Adaptionen entstanden. Das gilt auch für Club der roten Bänder, die deutsche Adaption, die vor einigen Jahren so kräftig einschlug, dass zwei weitere Staffeln folgten. Und weil die auf eine Weise endeten, die eine Fortsetzung unmöglich machten, gibt es jetzt halt die Vorgeschichte in Form eines Kinofilms.
Eine Freundesclique ohne die Freundschaft
Das wird die Fans erst einmal freuen, heißt das doch ein Wiedersehen mit den Jugendlichen, die im Laufe der Zeit zu guten Freunden wurden. Doch der eine oder andere wird im Vorfeld vielleicht auch skeptisch gewesen sein. Denn wer die Serie kennt, der weiß, dass sich die sechs ja erst im Krankenhaus kennengelernt haben. Wie soll das dann funktionieren, eine gemeinsame Geschichte zu erzählen, die davor spielt? Antwort: gar nicht. Zwar bauten die Drehbuchautoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf immer mal wieder Szenen ein, in denen sich die Jungs und das Mädel „zufällig“ über den Weg laufen. Zu einer echten Interaktion kommt es aber kaum, kann es auch gar nicht kommen. Es handelt sich um einen klassischen Episodenfilm, völlig ohne wir-Gefühl.
Dass das nichts Gutes verheißt, sollte eigentlich jedem klar sein. Club der roten Bänder funktionierte als Serie ja weniger wegen der Geschichte als vielmehr der Gruppendynamik der Clique. Wie hier Jugendliche zusammenfanden, die sich alle in kleinen bis ganz großen Krisen befanden, das war schon sehenswert. Eine Mischung aus Alltag und Ausnahmesituation. Der Versuch, Normalität in einem Stadium deines Leben zu finden, wo du alles zu verlieren drohst. Einschließlich deines eigenen Lebens, von Tonis gebrochenem Arm einmal abgesehen litt der Club unter potenziell tödlichen Krankheiten. Jugendliche zu zeigen, die mit dieser Situation fertigwerden müssen, das ist durchaus ein spannendes Thema.
… und noch eine kaputte Familie
Da dies im Prequel aus naheliegenden Gründen so nicht funktioniert, wurde allen Figuren eine tragische Familiengeschichte angedichtet. Jonas wird misshandelt. Toni wird misshandelt. Alex wird vernachlässigt. Emma wird vernachlässigt. Das ist nicht nur wenig abwechslungsreich und Ausdruck eines überaus faulen Drehbuchs, das den einfachsten Weg suchte, um ein bisschen Drama zu erzeugen. Es ist in dieser geballten Form auch noch kontraproduktiv. Anstatt mehr Mitgefühl für fünf zu entwickeln – das sechste Mitglied Hugo wird fast völlig ignoriert –, stumpft man hier völlig ab, da die Kombination zu keiner Zeit glaubwürdig ist. Und das ist schon eine ärgerliche Geldmacherei, weil die Geschichte dadurch nicht weiterentwickelt, sondern im Gegenteil entwertet wird.
Dass es das alles gar nicht gebraucht hätte, zeigt das Beispiel Leo. Dessen Freundschaft zum raubeinigen Zimmergenossen Benni (Jürgen Vogel) erzählt zwar nichts relevant Neues. Zumindest phasenweise kommt hier aber durch, was die Serie zumindest in der ersten Staffel berührend machte: eine Form von Gemeinschaft in der Not, die auch von den individuellen Charakteren lebte. Zudem wird bei seinem Handlungsstrang nichts Wesentliches nachträglich hinzugefügt, seine familiäre Situation war bereits aus der Serie bekannt. Und es ist schon irgendwie bezeichnend, dass ausgerechnet der Strang der stärkste ist, der am wenigsten in die Geschichte eingreift. Trotz vereinzelt schöner Momente: Wie alles begann ist ein letztendlich völlig überflüssiger Film, der Fans nicht weiterbringt und Neuankömmlinge eher abschreckt. Denn nach den knapp zwei Stunden geballtem Drama dürften nur die wenigsten nachvollziehen können, warum man sich eigentlich für die Figuren so sehr interessieren sollte, im Anschluss noch die Serie zu beginnen.
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