Fortschritt im Tal der Ahnungslosen
© tsb / Joanna Piechotta

Fortschritt im Tal der Ahnungslosen

Fortschritt im Tal der Ahnungslosen
„Fortschritt im Tal der Ahnungslosen“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Die Idee ist ein wenig seltsam, vielleicht sogar irgendwie komisch. Menschen, die vor einer kriegsgebeutelten Diktatur geflohen sind, kommen bei Fremden unter, die ihnen ihre ehemalige Diktatur vorstellen und ans Herz legen. Doch genau das geschieht in Fortschritt im Tal der Ahnungslosen. Syrische Asylsucher, die in ihrer Heimat keine Zukunft mehr hatten, begegnen der vergangenen DDR in einem ehemals volkseigenen Betrieb. Dort wurden früher Mähdrescher hergestellt. Heute ist nur eine Ruine geblieben. Und die Erinnerungen natürlich, die erstaunlich lebendig sind, selbst 30 Jahre später.

Dort begegnen die Syrer ehemaligen Werkarbeitern, unter teils sehr kuriosen Umständen. So versuchen die Sachsen ihren Gästen ein wenig Deutsch beizubringen mit imaginären Essensspielen. Vor allem aber die Bemühungen, die untergegangenen Rituale und Überzeugungen der DDR wieder an den Mann zu bringen, dürften für so manch aufgerissene Augen sorgen. Da wird fleißig exerziert, passende Soldatenkleidung inklusive, später geht es auch an die Schule, wo wie einst Lobeshymnen auf die kulturellen Errungenschaften und die Solidarität gesungen werden.

Die harte Wahrheit außerhalb der Idylle
Gleichzeitig sind die Flüchtlinge aber auch Rassismus ausgesetzt. Nicht weit weg von der eigenwilligen Ruinenidylle marschieren die Rechten auf, hetzen gegen alles und jeden, der anders ist und damit die eigene Identität in Frage stellen könnte. Regisseur Florian Kunert, der hier seinen Debütfilm abliefert, versucht dann auch gar nicht, die sehr unterschiedlichen Elemente in Einklang zu bringen. Muss er auch nicht, denn es ist das Nebenher von Vergangenheit und Zukunft, von verschiedenen Kulturen und Ansichten und auch von sehr unterschiedlichen Stimmungen, die sein Werk auszeichnen. Fortschritt im Tal der Ahnungslosen, das ist lustig und erschreckend in einem.

Der Titel bezieht sich dabei gleich doppelt auf den Ort. Das Tal der Ahnungslosen bezeichnete damals jenen Teil von Sachsen, der am weitesten weg war von dem Einfluss Westdeutschlands. Fernsehen und Radio kamen nicht bis hierher, es sprach auch keiner über die BRD. So als gäbe es sie gar nicht. Fortschritt wiederum war der Name des Betriebs, was angesichts der heruntergekommenen Struktur und der regelmäßig vorbeischauenden Bagger natürlich ironisch ist. Denn Fortschritt ist hier nirgends zu spüren, nicht bei den Menschen, nicht bei der Umgebung. Es ist vielmehr so, als wäre die Zeit stehen geblieben, wohlig eingemummelt in eine Nostalgie an ein früher, das es nicht mehr gibt. Nicht mehr geben wird.

Interessante Verwirrung
Worauf der Dokumentarfilm, der bei der Berlinale 2019 seine Weltpremiere feierte, nun genau hinauswill, das wird nicht so ganz klar. Die Gleichsetzung der beiden heimatvertriebenen Parteien – die DDR-Bürger, deren Land es nicht mehr gibt; die Syrer, deren Land sich seit Jahren blutig selbst zerfleischt –, ist interessant. Die Syrer bleiben dabei jedoch etwas außen vor. Die gemeinsamen Szenen zeigen sie, wie sie die Vergangenheit der anderen nachspielen und sich an die Gegenwart anpassen. Wer sie aber selbst sind, woran sie glauben, das erfahren wir nicht. Aber auch wenn am Ende die ganz großen Erkenntnisse ausbleiben und eher Verwirrung angesagt ist: Fortschritt im Tal der Ahnungslosen ist ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm zwischen Collage und Experiment, deren originellen Gegenüberstellungen durchaus sehenswert sind.



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„Fortschritt im Tal der Ahnungslosen“ ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Begegnung zwischen syrischen Flüchtlingen und den ehemaligen Arbeitern eines DDR-Betriebs. Das ist mal komisch, mal erschreckend, kombiniert Collage und Experiment, während nostalgisch an verschwundene Heimaten erinnert wird.