Menashe (Menashe Lustig) ist ein echter „Schlimasel“, wie ihn seine orthodoxe jüdische Gemeinde in Borough Parkin Brooklyn bemitleidenswert nennt. Ein vergesslicher Chaot, den mit dem Tod seiner Frau obendrein das Unglück heimsucht. Seitdem kommt sein Sohn Rieven (Ruben Niborski) in der Familie des Schwagers unter, zumindest bis Menashe wieder neu verheiratet ist. Denn die Thora und sein Rabbi verbieten es ihm, seinen Sohn alleine großzuziehen. Deren Wort ist gesetzt und so findet er sich zwischen seinem Job als Supermarktverkäufer, der Sehnsucht nach mehr Zeit mit seinem Sohn und den strikten Auflagen seiner Religion wieder. Er muss sein Leben in die richtigen Bahnen lenken, aber wo soll er bloß anfangen?
Ein Film komplett auf Jiddisch, in einer mir beinahe völlig fremden Kultur im ultraorthodoxen Brooklyn, der an allen Ecken und Enden so ganz anders ist, als man es eben kennt. Ausmachen und davonrennen oder drauf einlassen und eventuell den eigenen Horizont erweitern? Die chronische Neugierde gewinnt wie immer und so taucht man ein, in eine Welt der gewöhnungsbedürftigen Frisuren, so zumindest mein ignorantes Selbst.
Reiß dich zusammen!
Die eigene Vernunft und das Urteilungsvermögen werden binnen kurzer Momente auf die Probe gestellt. Ein Vater, dem sein Kind entzogen wird und der dem auch noch Folge leistet, weil seine Religion das eben so fordert?! Zunächst unbegreiflich, aber was weiß denn ich schon von Glauben und Verstand. Es ist ja nicht so, dass Menashe nicht selbst mit sich hadert, die Auflagen des Rabbis in Frage stellt und sogar bricht, nur um wertvolle Stunden mit seinem Sohn zu verbringen. Sein Schwager hält ihm tagtäglich seine Fehler und Macken vor, sein Chef scheint ihn auf dem Kieker zu haben und mit den Dates läuft es ebenfalls nicht wie erwartet. Er kommt kaum über die Runden, bekommt vom Rabbi öfter etwas Geld zugesteckt oder hofft auf einen Lohnvorschuss. Die Welt scheint gegen ihn, damit hat er sich abgefunden, was er in trotzigen Ausbrüchen seinem Umfeld kundtut. Hauptsache ihn trifft keine Schuld!
Er macht es einem nicht leicht. Ein Sympathieträger sieht anders aus, aber kann man es ihm verübeln? Er tritt von einem Fettnäpfchen ins nächste und die Gedenkfeier seiner verstorbenen Frau steht kurz bevor. Aber wo hört der vom Leben gebeutelte Menashe auf und wo fängt der echte an? Er ist tollpatschig, ungepflegt, vergesslich, aufbrausend und irgendwie selbst noch nicht ganz im Erwachsensein angekommen. Doch um für seinen Sohn sorgen zu können, muss er irgendwo beginnen. Er muss sich ändern.
Eine Dokuwolf im Dramapelz
Menashe ist kein klassischer Protagonist, zumindest wird er nicht als solcher porträtiert. Der glorreiche Aufstieg des Verlierers als solches findet nicht direkt statt, so viel sei im Vorhinein gesagt. An sich liegt der Fokus nur lose auf ihm und seiner Geschichte. Das wirkliche Augenmerk des Familiendramas liegt auf der jüdischen Gemeinde Brooklyns. Dokumentarisch trifft es hierbei auf den Punkt, zeigt es doch sehr genau den visuellen Werdegang von Regisseur Joshua Z. Weinstein auf, dessen Portfolio bis dato fast ausschließlich daraus bestand. So ist es nicht überraschend, dass er dieses Handwerk nicht ganz ablegen kann oder will. Voyeuristisch verfolgen wir eine vielen fremde Kultur, lernen über ihre Traditionen und erhalten einen Einblick, in eine eng miteinander verwobene Gemeinde.
Eine wertvolle Reise
Ohne das jüdische Vokabular zu verunglimpfen oder traditionelle Gepflogenheiten falsch darzustellen, ist die Momentaufnahme des Films absolut faszinierend. Die eigentlichen Geschehnisse werden zum Baustein einer Präsentation, die uns die jüdische Gemeinde Brooklyns näher bringen soll. Ein Film, der eigentlich keiner ist oder zumindest wenige der klassischen Stilmittel verwendet. Dokumentarisch begleiten wir einen Vater, der um seinen Sohn kämpft. Kein Hollywood, dafür authentische Momente am Rande der Thora. Ein dokumentarisches Drama oder eine dramatische Dokumentation? Die Grenzen bleiben bis zuletzt verschwommen. Menashe ist sicherlich nicht für jeden, muss er aber auch nicht. Ein schöner Schlimasel.
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