Vor fünf Jahren hat Martins Frau auf einem Kreuzfahrtschiff erweiterten Suizid begangen und sich und Martins Sohn in den Tod gerissen. Martin (Lucas Gregorowicz), ein taffer Polizeipsychologe, ist darüber natürlich nicht hinweg und zweifelt zudem an der Suizid-Theorie. Als eine alternde Krimi-Autorin, die selbst auf eben jenem Kreuzfahrtschiff lebt, ihm erzählt, dass es Hinweise darauf gibt, was wirklich mit seiner Frau und seinem Sohn geschehen ist, zögert Martin nicht lange und geht auf das Schiff. Zu seiner Überraschung ist dort gerade ein für verschollen gehaltenes Mädchen wieder aufgetaucht – mit dem Teddy seines Sohnes in der Hand.
Sebastian Fitzek ist wohl einer der bekanntesten (Psycho-)Thrillerautoren Deutschlands. Seine Bücher verkaufen sich millionenfach und stehen auf den Bestsellerlisten monatelang ganz oben. Kein Wunder also, dass Fernsehsender und Produktionsfirmen seit einiger Zeit an den Fitzek-Stoffen interessiert sind und seine Romane nun verfilmt werden. Doch ob Fernsehfilme dafür die richtige Wahl sind?
Der Abgrund hinter der Idylle
Wer den Roman kennt, weiß, dass die Geschichte nicht nur spannend ist bis zum Schluss, sondern dass sie auch menschliche Abgründe offenbart, die ihresgleichen suchen. Verstörende Taten und Hintergründe tun sich auf und das vor einem eigentlich so positiv konnotierten Schauplatz: einem Kreuzfahrtschiff. Manch einer denkt bestimmt an das bekannte ZDF-Traumschiff, manch einer hat vielleicht schon selbst eine Kreuzfahrt mitgemacht. Das Image ist jedoch immer gleich: Man nächtigt in luxuriösen Kabinen, genießt eine Rundumverpflegung an Bord und steuert Traumstrände und bekannte Hafenstädte an. Fitzek nutzt dieses positive Image gekonnt aus und macht das Kreuzfahrschiff zu einem gefährlichen Ort voller mysteriöser Menschen und düsteren Ecken.
Solch einen Stoff fürs Fernsehen zu verfilmen, kann funktionieren, kann aber auch schief gehen. Leider merkt man dem Film sehr deutlich an, dass er ein Fernsehfilm ist und das auf mehreren Ebenen. Aufgrund des wie bei Fernsehfilmen üblichen, niedrigen Budgets kommt leider selten echte Kreuzfahrtstimmung auf. Stattdessen verliert man sich als Zuschauer schnell in den sterilen Gängen des Stahlfisches und wird für wenige Minuten an belanglose Orte wie etwa das Bord-Casino inklusive Bar geführt. Dabei wird aber keine klaustrophobische Stimmung erzeugt, so wie Fitzek es schafft, sondern eher Verwirrung, wodurch der Zuschauer davon abgehalten wird, sich in den Film und seine Figuren richtig reinzufühlen.
Einerseits bekommt man das Gefühl, dass der Film sehr nah am Roman bleiben wollte, da er auch (zum Nachteil wichtigerer Figuren) versucht, allen Nebenfiguren wenigstens noch ein bisschen Screentime zu geben. Dadurch und durch die sehr oberflächliche, sterile Zeichnung der Figuren fällt es sehr schwer, sich in die Figuren einzufühlen, obwohl deren komplexe Charaktere bei Fitzek stets so wichtig sind wie die Story selbst.
Enttäuschende Umschiffung von Tabuthemen
Andererseits entfernt sich der Film in einigen wichtigen Punkten zu weit vom Buch. Der größte Schnitzer für diejenigen, die das Buch gelesen haben, dürfte wohl der Umgang mit sensiblen Themen sein. Fitzek schreibt das Wort „Psycho“ in seinen Psychothrillern ganz groß; der Leser bekommt es nicht selten mit psychisch Kranken, auch Sadisten, Pädophilen und ähnlichen Persönlichkeiten zu tun. Wer Fitzek öfter liest, weiß auch, dass dieser ungeschönt und mit aller Brutalität die Taten, Motive und Gedanken seiner Figuren offenlegt. Umso merkwürdiger ist es dann, wenn sämtliche unangenehme Tabu-Themen, die der Roman enthält, entweder zu seichteren, massentauglicheren Varianten umgewandelt oder komplett verändert werden. Das zentrale Thema des Buchs, nämlich der Missbrauch von Kindern, der auf verschiedenen Figurenebenen dargestellt wird, wird von der Inszenierung und dem Drehbuch des Films regelrecht verschluckt und in wenigen Nebensätzen verharmlosend abgehandelt. Verständlich, dass solche Themen für einen Fernsehfilm zu deftig sind, aber dann sollte man sich doch lieber gleich mit anderen Stoffen auseinandersetzen oder lieber zum Kinoformat greifen.
Das Drehbuch ist überwiegend in Ordnung für einen Fernsehfilm, die Spannung dümpelt so vor sich hin. Die Handlung des Romans musste für den Film logischerweise stark gerafft werden und wer das Buch nicht kennt, kommt vermutlich ab und zu nicht ganz mit den Geschehnissen mit. Die Auflösung des ganzen Falls geht leider völlig unter und ist sehr wirr gestaltet, anstatt als Höhepunkt der Geschichte. Ohne Kenntnis der Romanvorlage muss man vermutlich zurückspulen oder sich mit einem großen Fragezeichen begnügen müssen. Das emotionale Ende kann dann leider auch nichts mehr retten. Ob dieser Film Fitzeks Roman also gerecht wird, muss jeder selbst entscheiden. Vergleicht man diesen Fernsehfilm jedoch mit dem Kinofilm Abgeschnitten (2018), dessen Vorlage ebenfalls ein Roman von Fitzek in Zusammenarbeit mit Michael Tsokos ist, so erkennt man schnell, was mit mehr Budget, besseren Schauspielern und vermutlich mehr Ambition möglich ist.
OT: „Passagier 23“
Land: Deutschland
Jahr: 2018
Regisseur: Alexander Dierbach
Drehbuch: Miriam Rechel
Vorlage: Sebastian Fitzek
Musik: Sebastian Pille
Kamera: Ian Blumers
Besetzung: Lucas Gregorowicz, Picco von Groote, Oliver Mommsen, Kim Riedle, Liane Forestieri
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