Eigentlich hätten die deutschen Soldaten ja längst aus Afghanistan abgezogen werden sollen. Das Mandat zur Beteiligung an einer internationalen Schutztruppe lief schließlich vor einigen Jahren aus. Über 1000 sind aber immer noch dort, um die Ausbildung der afghanischen Armee zu unterstützen. Eine Aufgabe, die kein rechtes Ende vor Augen hat. Denn auch wenn die Medien sich nicht mehr sonderlich für den Einsatz interessieren, die Lage bleibt prekär. Der Versuch, die Verantwortung des Landes an die dortigen Sicherheitskräfte zu übergeben eine langwierige Vision.
Langwierig sind aber auch die Folgen für die Soldaten, die längst nicht mehr dort sind. Bei Roman und Oliver beispielsweise, die jeweils mehrere Monate dort stationiert waren. Aber auch Mandy hat ungute Erinnerungen an ihre Zeit dort sowie an ihren Einsatz im Kosovo zur Jahrtausendwende. Ihnen allen stecken noch die Belastungen von damals in den Knochen. Sie stecken ihnen vor allem im Kopf. Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, nennt sich die psychische Erkrankung, die mit den unterschiedlichsten Symptomen einhergeht, etwa Angstzuständen oder Versuchen, dem Thema oder ähnlichen Situationen aus dem Weg zu gehen.
Das Pferd, dein Freund und Helfer
Claudia Swierczek will den Betroffenen helfen, sich eben diesen Ängsten und Tabus zu nähern. Ihr Werkzeug ist jedoch keine Couch, auf die sich die drei legen, um dort über alles zu sprechen. Nein, bei ihr heißt es raus in die Natur. Genauer ist es ein Pferdehof in Brandenburg, der die üblichen Therapieräume ersetzt. Dort lässt sie Roman, Oliver und Mandy mit den Tieren agieren. Eine Aufgabe ist es etwa, eines der Pferde über eine Wippe zu führen. In einer anderen ist es eine gefährlich knisternde Regenjacke, die zum Inhalt einer Übung wird.
Das hört sich vielleicht erst einmal ein wenig kurios an. Dass die Bundeswehr bis heute keine Kosten für die Therapiesitzungen übernehmen will, das lässt sich daher zunächst durchaus nachvollziehen. Doch Stiller Kamerad zeigt eben Erfolge, wo die klassischen Therapien versagten. Alle drei versuchten die regulären Angebote, um ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Alle drei scheiterten. Erst der Umgang mit den Tieren half ihnen dabei, zu sich selbst zu finden. Ein bisschen ist der Dokumentarfilm daher auch eine Werbung dafür, diese alternative Therapieform ernstzunehmen.
Einblicke in komplexe Seelen
Wobei Regisseur Leonhard Hollmann das in der Form gar nicht aussprechen muss. Er hält sich bei seinem Abschlussfilm für die Universität und gleichzeitig erstem Langfilm komplett aus dem Geschehen heraus, überlässt Claudia und ihren Patienten völlig das Wort. Die sind auch erstaunlich redselig: Trotz Anwesenheit einer Kamera erzählen sie freimütig von ihren Erfahrungen im Kriegsgebiet und den Auswirkungen, die diese bis heute haben. Da reicht manchmal schon der kleinste Auslöser, um den Horror der Vergangenheit wieder zurückzuholen.
Den zu nehmen, das können natürlich weder Claudia und ihre Pferde direkt. Was der Umgang mit den starken und sozialen Fluchttieren jedoch lehrt, ist sich dieser Mechanismen bewusst zu werden. Stiller Kamerad gibt gleichermaßen Einblicke in die menschliche wie die tierische Psyche und verdeutlicht Parallelen, aus denen wir lernen können. Zeigt auch, wie viel wir kommunizieren, ohne es überhaupt zu bemerken, etwa durch Anspannung. Das macht den Film auch für Zuschauer interessant, die weder eigene Traumata noch größere Sympathien für Pferde im Herzen tragen. Denn auch wenn die Vierbeiner hier so viel Platz erhalten, dass sie zu Vertrauenspersonen werden, so sind die doch Spiegel von uns, in denen wir das entdecken können, was wir im Alltag längst nicht mehr sehen.
(Anzeige)