Lange haben sie sich schon nicht mehr gesehen, 13 Jahre genauer. Und es ist auch kein besonders schöner Anlass, der Vanya (Ellen Page), Luther (Tom Hopper), Klaus (Robert Sheehan), Allison (Emmy Raver-Lampman) und Diego (David Castañeda) wieder zusammengeführt hat: Ihr Vater ist tot. Dabei war das Verhältnis zu ihm nie besonders gut gewesen, denn der exzentrische Milliardär Sir Reginal Hargreeves (Colm Feore) mutete ihnen von klein auf jede Menge zu, damit sie später einmal die Welt retten können, und förderte ihre speziellen Fähigkeiten. Und die können sie jetzt gut brauchen. Denn plötzlich taucht ihr verschwunden geglaubter Bruder Nummer fünf (Aidan Gallagher) wieder auf, verfolgt von zwei Auftragsmördern (Mary J. Blige, Cameron Britton), und redet davon, dass die Apokalypse bevorsteht.
Auch wenn so manch einer bei jedem neuen Superheldenfilm, der ins Kino kommt, darauf spekuliert, dass doch jetzt endlich mal die Blase platzt, an den Zuschauerzahlen lässt sich ein Abebben des Interesses kaum festmachen. Im Gegenteil, mit Avengers: Infinity War und Black Panther wurden letztes Jahr neue Rekorde aufgestellt, die im Vorfeld belächelten Venom und Aquaman wurden zwei der größten Hits des Jahres. Kein Wunder also, dass Netflix auch weiterhin kräftig an dem Superheldenkuchen mitnaschen möchte und schon jetzt nach Alternativen sucht, wenn der Marvel-Deal über kurz oder lang Geschichte ist.
Das Wunder der Geburt
Fündig wurden sie bei Gerard Way, Frontman der Rockband My Chemical Romance, und dem brasilianischen Comiczeichner Gabriel Bá, den beiden Männern hinter der preisgekrönten Graphic Novel The Umbrella Academy. Und es ist nicht schwer zu erkennen, warum man in der Geschichte so viel Potenzial sah. Denn auch wenn es mal wieder darum geht, dass eine Gruppe von Menschen mit Superkräften die Welt retten muss, das Drumherum ist schon etwas ungewöhnlicher. Das fängt schon mit der Frage an: Warum haben die all diese Kräfte? Ein Prolog verrät nur, dass im Jahr 1989 weltweit mehr als 40 Babys geboren wurden, obwohl die Mütter gar nicht schwanger waren. Und sie alle scheinen mit sonderbaren Fähigkeiten ausgestattet zu sein.
Die Netflix-Adaption The Umbrella Academy geht darauf aber nicht weiter ein, gibt keine Erklärung für das, was sich im Jahr 1989 zugetragen hat. Leider interessiert sich die Serie auch nur begrenzt für die Fertigkeiten der Protagonisten. Luther darf hin und wieder seine übermenschliche physische Kraft zum Einsatz bringen, Nummer fünf springt unentwegt durch Portale. Das war es aber auch fast schon. Die paar Messereinsätze von Diego sind kaum erwähnenswert, Allisons realitätsverändernden Talente kommen gar nicht zum Einsatz. Und dann wäre da noch der übersinnlich begabte Klaus, der mit Drogen und Alkohol seine Kräfte unterdrückt, lediglich Dialoge mit seinem verstorbenen Bruder Ben (Ethan Hwang) zeigen, was in ihm steckt.
So viele Leute, nichts als Probleme
Allgemein legt die erste Staffel einen deutlich größeren Wert auf die Figuren als die Geschichte. Vergleichbar zum Netflix-Kollegen Spuk in Hill House ist die Comic-Adaption in erster Linie ein Drama über eine dysfunktionale Familie, die noch immer unter Kindheitstraumata leidet. Nur dass diese hier eben nicht von einem Geisterhaus, sondern einem eiskalten Vater verursacht wurden. Das geht hier zwar nicht ganz so sehr zu Herzen wie bei den Horroropfern, die eine oder andere bewegende Szene ist aber dabei. Vor allem Ellen Page (The Cured – Infiziert. Geheilt. Verstoßen.) als von klein auf ausgestoßene Vanya und Robert Sheehan (Mortal Engines: Krieg der Städte) als überdrehter Junkie Klaus, der um jeden Preis seine Erinnerungen zu unterdrücken versucht, stechen dabei hervor. Spaß machen aber auch die beiden Killer Cha Cha und Hazel in ihren kuriosen Verkleidungen und Newcomer Aidan Gallagher, der optisch das Nesthäkchen ist, das mit jeder Menge zynischer Sprüche aber regelmäßig konterkariert.
Während The Umbrella Academy so einiges mitbringt für eine sehr eigenwillige Variante der Superheldengeschichte – das Anwesen wird zudem von zwei nicht ganz alltäglichen Gestalten bewohnt –, ist der eigentliche Fall nichts Besonderes. Was hinter allem steckt, das wird recht früh klar, während die Serie wild durch die Gegend rennt und noch nach Hinweisen sucht. Auch bestimmte Konflikte werden etwas zu oft wiederholt, da wird wertvolle Zeit verschwendet, die anderweitig besser hätte genutzt werden können, um das Geschehen voranzutreiben oder Figuren zu vertiefen. Abwechslung ist allgemein nicht die ganz große Stärke. Dennoch, die Geschichte einer kaputten Superheldenfamilie ist eine sehenswerte Alternative zu den Standardvertretern, auch aufgrund der leichten Retro-Anleihen. Da die erste Staffel zudem mit einem fetten Cliffhanger endet, sind weitere Abenteuer mit der Rasselbande wohl nur eine Frage der Zeit und durchaus begrüßenswert.
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