Unser Paris is Us Netflix
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Unser Paris

Unser Paris is Us Netflix
„Unser Paris“ // Deutschland-Start: 22. Februar 2019 (Netflix)

Das Leben von Anna (Noémie Schmidt) wird sehr vom Zufall bestimmt. Und beinahe auch ihr Tod. Es war in einem Club, in dem sie Greg (Grégoire Isvarine) über den Weg gelaufen ist. Die Chemie stimmt, sie werden bald zu einem Paar, auch wenn immer mal wieder die Fetzen fliegen. So ist die junge Französin beispielsweise gar nicht glücklich darüber, mit ihm nach Barcelona ziehen zu sollen. Im letzten Moment entscheidet sie sich auch dagegen, was ihr das Leben rettet, als das Flugzeug unterwegs abstürzt. Diese Erfahrung bringt Anna dazu, noch einmal alles zu überdenken, ihr komplettes Leben, ihre Ziele und Wünsche. Denn eigentlich weiß sie gar nicht so genau, was sie möchte.

Irgendwie weiß man auch bei Netflix nie so richtig, was einen erwartet, gerade bei den Filmen. Auf der einen Seite sammeln sie lauter Titel, die sich in ihrer Gefälligkeit suhlen, anspruchslose Wegwerfware. Vor allem bei Komödien und Liebesfilmen wird es da teilweise richtig übel. Dann wiederum nehmen sie Filme ins Programm auf, bei denen von vornherein feststeht, dass ein Großteil sie hassen wird. Was manchmal auch damit zusammenhängt, dass sie irreführend angepriesen werden. IO zum Beispiel weckt Erwartungen auf Endzeitspannung, verliert sich aber in pseudophilosophischem Nichtstun. Und How It Ends dürfte mit seinem dreisten Ende ohnehin Geschichte geschrieben haben.

Eine Liebe, die keine ist
Auch Unser Paris wird mit Sicherheit sehr gemischte Reaktion hervorrufen. Romantisch soll der Film sein, eine bewegende Liebesgeschichte – so behauptet Netflix. Stimmt aber nicht. Am Anfang steht die Liebe, ja, mit der Begegnung von Anna und Greg beginnt die französische Produktion. Mit Romantik hat die Beziehung der beiden aber nichts zu tun. Dafür wird zu viel gestritten, die zwei sind keine Hochglanzprojektionsfläche, die einen von der großen Liebe träumen lassen. Es ist sogar etwas anstrengend, den beiden zusehen zu müssen. Später gibt es ohnehin keine wirkliche Gemeinsamkeit mehr, wenn sich das Geschehen immer mehr in Annas Kopf verlagert und ganz andere Themen im Mittelpunkt stehen.

Es ist nicht einmal so einfach zu sagen, wovon Unser Paris überhaupt handeln soll. Elisabeth Vogler, die hier Regie führte, die Kamera bediente und Teil des vierköpfigen Drehbuchteams war, verzichtet auf eine klare Struktur. Es gibt zwar eine zeitliche Aufeinanderfolge in Hinblick auf Greg, vom Kennenlernen bis zum Flugvorfall. Doch dazwischen schieben sich Flashbacks und Szenen, die außerhalb von allem zu stehen scheinen. Die nicht Teil einer Chronologie sind, keinen roten Faden bilden. Die nicht einmal unbedingt Teil einer Realität sind, sondern bloße Gedankenströme und aufgeschnappte Eindrücke.

Teil und Nicht-Teil eines Ganzen
Die betreffen manchmal Annas eigenes Leben, wenn sie alles zu hinterfragen beginnt. An vielen Stellen will Unser Paris aber offenkundig mehr sein: Der Film wird zum Porträt einer gesamten Generation, irgendwo hilflos zwischen Feiern und Fürchten treibend. Dass das nicht zusammenpasst und kein einheitliches Bild ergibt, das überrascht nicht. Soll es auch gar nicht. Das Drama ist ein Querschnitt, der einerseits in lauter Einzelteile zerfällt, die ohne Zusammenhang stehen, die gleichzeitig aber auch nahtlos ineinander übergehen. Wie in einem Traum, dessen Unmöglichkeit einem erst nach dem Aufwachen bewusst wird. Sofern man ihn überhaupt noch zu fassen bekommt.

Wer sich von dem Gedanken verabschiedet, hier eine Romanze zu sehen oder überhaupt etwas, das unserer Vorstellung eines Films entspricht, der findet hier durchaus einiges, das es sich zu sehen lohnt. Gerade die Kameraspielereien, mal raue Doku, dann wieder surrealer Symbolismus, helfen dabei, aus diesem Scherbenhaufen einen kleinen Geheimtipp für ein experimentierfreudiges Publikum zu puzzeln. Wirkliche Erkenntnisse gibt es am Ende nicht. Unser Paris ist mit seinem Übermaß an Voice-over-Szenen – wirkliche Dialoge gibt es kaum – und dem Hang, cleverer sein zu wollen, als er ist, manchmal auch etwas nervig. Das per Crowdfunding und über mehrere Jahre gefilmte Werk ist aber doch eine kleine Wohltat in dem Netflix-Katalog, bei dem man oft schon während des Anschauens vergessen hat, was man gerade anschaut. Dieses Drama wird man hingegen zumindest eine Weile noch mit sich herumtragen, sei es aus Begeisterung, Verwirrung oder Ärger, anderthalb Stunden lang keine Geschichte bekommen zu haben.



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„Unser Paris“ beginnt als Liebesfilm wird anschließend aber zu einer Mischung aus Generationenporträt und persönlichem Drama, ausgelöst durch eine Nahtoderfahrung. Die Indie-Produktion verzichtet dabei auf klare Strukturen oder eine eindeutige Chronologie. Stattdessen gibt es faszinierende Kameraspielereien und zahlreiche Voice-over-Überlegungen, die sich zu einem interessanten, wenn auch manchmal etwas nervigen Nicht-Film zusammensetzen.
7
von 10