Lee Alexander McQueen war einer der kühnsten und kreativsten Modeschöpfer der letzten Jahrzehnte. Stillstand war für ihn gleichbedeutend mit Tod. Seine Kleidung war dafür bekannt, den Körper des Menschen zu verändern und damit neu zu definieren, z.B. durch eine Verlängerung des Torsos. Die Dokumentation Alexander McQueen – Der Film von Ian Bonhôte und Peter Ettedgui geht hingegen einen eher konventionellen Weg. Der Film bedient sich bei der Schilderung des Lebens von McQueen der typischen Struktur dokumentarischen Erzählens: Eingeteilt in sechs Stationen rund um die wichtigsten Modenschauen McQueens wird sein Weg chronologisch nachgezeichnet. Der typische „Körper“ eines Dokumentarfilms bleibt somit erhalten.
Wie üblich in Dokumentationen über bekannte Persönlichkeiten kommen Freunde, Familie und weitere Wegbegleiter zu Wort. Viele Designergrößen wie Romeo Gigli und Bobby Hillson beschreiben einen der außergewöhnlichsten Charaktere der Modewelt. Die erstaunlich intimen Kommentare wirken sehr authentisch und halten die Dokumentation lebendig.
Ein aufwühlendes Leben
Die Kreativität und A-Normalität seines Protagonisten lässt Alexander McQueen – Der Film vermissen. Trotzdem ist die Doku häufig packend. Das liegt vor allem an der dramaturgischen Aufbereitung der verschiedenen Abschnitte von McQueens Leben – und damit an diesem Leben selbst.
Alexander McQueen hat schon bei seinen künstlerischen Anfängen ein kühnes, häufig dreistes Auftreten. Er weiß um sein Talent. Trotz schnellen Erfolgen in der Modewelt lebt er lange von Arbeitslosengeld. Er gründet sein eigenes Label und feiert umstrittene, aber aufsehenerregende Modenschauen. Als er bereits als Stardesigner gilt, geht er überraschend zu Givenchi und schließlich zu Gucci. Auf seinem Weg schafft er es, die Modewelt beinahe komplett umzukrempeln. Kleidung ist bei ihm kein Zeichen der sozialen Zugehörigkeit mehr, sondern der inneren: „if you wanna know me, just look at my work“. Die vielen Gastkommentare betonen die scheinbar unerschöpfliche Innovationskraft McQueens.
Die Doku präsentiert ihn als jemanden, der alles um sich herum aufsaugt – in Nachtclubs, Fetisch-Bars, Schwulenclubs; als jemanden, der einen anderen, abweichenden Blick auf das Leben hat und sich deshalb dazu berufen fühlt, Realität zu zeigen. Als jemanden, der die dunklen Seiten des Lebens nicht ausblendet, sondern sich einverleibt, kultiviert, und in Kunst verwandelt. Als jemanden, der diese dunklen Seiten selbst erlebt hat – und deshalb auch in sich trägt.
Getrieben von den inneren Dämonen
Eindrucksvoll enthüllt der Films McQueens vielseitigen und sensiblen Charakter. Ein Mensch, der mit seinen Visionen und seiner Begeisterungsfähigkeit eine unglaubliche Anziehungskraft auf andere ausgeübt hat. McQueen – dieses abgesonderte Wesen, das nichts auf herrschende Traditionen gab – konnte in der Modewelt Gleichgesinnte finden. Vor allem zeigen Bonhôte und Ettedgui den Designer als eine gequälte Seele, die von Eifersucht, Rastlosigkeit und dem Bedürfnis nach bedingungsloser Liebe getrieben war. Das war nie einfach für die Menschen, die ihm nahestanden, das wird schnell deutlich. Seine überbordende Verlustangst führte zu beinahe krankhafter Paranoia, McQueen fühlte sich schnell betrogen. Die unbarmherzige Modeindustrie verstärkte McQueens ständige Anspannung und seine teils narzisstische Persönlichkeitsstruktur noch.
„Wenn du krank bist, bist du sehr allein“, sagt Isabella Blow, Modejournalistin und langjährige Freundin McQueens an einer Stelle des Films, an der die existenzielle Einsamkeit des Künstlers überdeutlich wird. Die Doku endet mit dem Selbstmord des Mode-Rebellen, der zahlreiche Freunde verzweifelt zurückließ. Alexander McQueen wollte stets, dass man emotional aufgewühlt aus seinen Shows geht – ob diese dem Zuschauer nun gefallen haben oder nicht. Der schlimmste Gedanke für ihn war, dass die Menschen nach dem Besuch seiner Shows wie nach einem Mittagessen heimgehen und weitermachen, als wäre nichts gewesen. Hier zumindest bewegt sich die Dokumentation im Geiste seines Protagonisten. Die bewegende Geschichte von Alexander McQueen lässt einen nicht kalt. So konventionell erzählt sie auch sein mag.
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