Eigentlich hätte es ein Grund zur Freude sein sollen: Angola, das Anfang des 19. Jahrhunderts von Portugal besetzt wurde und seither Kolonialgebiet war, erhält die Unabhängigkeit zurück. Doch statt mehr Gemeinschaft sind Angst und Terror die Folge, blutige Gewalt erschüttert das Land, das in einen grausamen Bürgerkrieg schlittert. Denn während die Portugiesen eilig ihre Häuser und das Land verlassen, beginnen die Verteilungskämpfe für die Zeit danach. Der polnische Reporter Ryszard Kapuściński will von eben diesen Zuständen berichten und reist dafür mitten ins Kriegsgebiet. Doch dort muss er feststellen, dass es unmöglich ist, sich aus dem Geschehen herauszuhalten, immer weiter wird er in die Auseinandersetzungen hineingezogen.
Animationsfilme werden ja ganz gerne mal als reine Belustigung für Kinder verkannt. Dabei gibt es genügend Beispiele, dass sich mit dieser Ästhetik auch ganz andere, düstere Stoffe transportieren lassen. Ein Beispiel ist Another Day of Life, das 2018 bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere feierte und nach zahlreichen Festivalauftritten nun auch regulär in die hiesigen Kinos kommt. Denn das, was dort gezeigt wird, sollte kein Kind zu Gesicht bekommen. Sollte auch kein Erwachsener jemals sehen müssen, zumindest nicht als Realvariante.
Erschreckende Erinnerung an einen vergessenen Krieg
Dabei ist der Hintergrund von Another Day of Life durchaus real, erschreckend real sogar. Kapuściński, der 1975 nach Angola reiste, um von der Front zu berichten, erzählte in seinem später erschienenen Buch Wieder ein Tag Leben, wie sich die verschiedenen Splittergruppen gegenseitig bekämpften. Geschont wurde dabei niemand, äußerst brutal gingen die diversen Fronten aufeinander los. Weiter befeuert wurde die ohnehin schon erhitzte Stimmung im Land durch diverse andere Nationen, die gern mitbestimmen wollten, wie es mit dem afrikanischen Staat anschließend weitergehen soll. Dass die Interessen der USA und Südafrika auf der einen Seite nicht unbedingt die der Russen und Kubaner waren, das versteht sich von selbst.
Hierzulande dürften eher weniger Leute Berührungspunkte mit diesem finsteren Abschnitt der angolanischen haben. Another Day of Life ist daher ein spannender, wenn auch manchmal nicht ganz einfacher Einblick in die Geschehnisse. Neutral ist dieser hingegen nicht. Gerade weil Kapuściński kein distanzierter Beobachter ist, sondern in eine dieser Gruppierungen hineingezogen wurde, verbinden sich journalistischer Anspruch und persönliches Bestreben, bis beides kaum mehr voneinander zu trennen ist. Der Film ist daher keine reine Geschichtsstunde. Oder wenn, dann nur im subjektiven Sinn, dass Geschichte immer auch Perspektive ist, keine objektive Wahrheit.
Ein animierender Albtraum
Die beiden Regisseure Raul de la Fuente und Damian Nenow (Love, Death & Robots) versuchen aber auch gar nicht, ihren Film als eine wertneutrale Abbildung der Vergangenheit zu verkaufen. Denn an dieser Stelle kommt die Animation ins Spiel. Immer wieder bauen die beiden zwar Realszenen ein, genauer Interviews mit Zeitzeugen, die Hintergründe und Einschätzungen liefern. Doch ein Großteil des Films besteht aus zuerst mit Schauspielern gedrehten, anschließend nachgezeichneten Szenen. Damit erinnert Another Day of Life an diverse Kollegen wie Chris the Swiss oder Waltz With Bashir, die ebenfalls Animation mit nüchterner Dokumentation kreuzten.
Das sieht hier sehr gut aus, der Film wirkt mit seinem realistischen und doch eher detailarmen Stil wie eine animierte Graphic Novel. Der Vorteil der Animation kommt aber vor allem dann zum Vorschein, wenn sich Another Day of Life von der Realität löst. Wenn Kapuściński zunehmend an Albträumen leidet und Verstorbene in seinen Visionen auftaucht, dann ist das hier sehr anschaulich dargestellt, ohne dass es zu einem starken Bruch käme. Der allgemeine Horror der Bevölkerung, er wird zu einem individuellen Horror, dessen Schrecken noch lange nachwirkt. Dann und wann neigt der Film ein wenig zum Pathos, was vor allem die Zuschauer stören wird, die sich eben eine reine Dokumentation erhoffen. Wer sich aber auf den Mix einlassen kann, der bekommt hier einen spannend subjektiven Einblick, was es heißt, Teil eines Bürgerkrieges zu sein.
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